blogpost_pszeitung_squareAus der Ferienferne das politische Wochengeschehen zu kommentieren, fällt nicht so einfach. Aber gerade vor der hoffentlich spannenden Ausmarchung über die grüne Regierungsratskandidatur tut es gut, nochmals Schnauf zu holen. Denn wenn ich zurück bin, ab dem Erscheinungstag dieses P.S., herrscht auch für die Grünen endgültig Wahlkampf. Und im Gegensatz zu den vergangenen Regierungsrats-Wahlkämpfen, als es vor allem etwas für die Links-Grüne Seite zu gewinnen gegeben hätte, müssen wir Grünen diesmal gemeinsam mit der SP mit aller Kraft dafür eintreten, dass im April nicht wieder die jahrelange Rechts-Aussen-Mehrheit da steht. Links-Grün-Mitte braucht dafür nicht ein einheitliches ideologisches Programm. Aber wir brauchen jenseits aller sicher erlaubten Eigenprofilierung und Abgrenzung den gemeinsamen Willen, weiterhin Politik mit gestaltenden Akzenten im Kanton Zürich möglich zu machen. Denn selbst der absehbare klare Verlust der Rechtsaussen-Mehrheit im Kantonsrat – durch den Wechsel von Andrea Widmer-Graf bereits heute knappsmöglich gebrochen – bringt wenig, wenn die Regierung dafür nurmehr das Sparen zum Programm macht und sich der wohl notwendigen Rücknahme der Steuersenkungen verweigert.
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Allerdings wird es uns schwer fallen, ein überzeugendes Resultat zu erreichen, wenn wir uns in der politischen Auseinandersetzung als Grüne nur für Blümchen und Hecken und als SP nur für die Löhne des Staatspersonals einsetzen (oder umgekehrt). Die Linke braucht dringend auch Kompetenz und vor allem mehr Glaubwürdigkeit im wirtschaftlichen und finanzpolitischen Bereich. Ein einfach verständliches Signal, dass Steuersenkungen nicht zwingend den Wohlstand blühen lassen, hat zwar bereits die Vorstellung der auseinanderklaffenden Budgets von Stadt und Kanton Zürich vor den Ferien vor Augen geführt. Etwas klarere Sicht hat mir aber auch die durch die Ferien ermöglichte Relektüre des Buches ?Der Irrsinn der Reformen? von Philipp Löpfe und Werner Vontobel gebracht. Sie legen überzeugend dar, dass weniger Staat und mehr Wettbewerb nur im engen Blickwinkel der Ideologen zwingend zu mehr Wohlstand für alle führen. Diese These wird ja nicht nur von rechts vertreten, auch das Orakel von Brig, der ehemalige SP-Präsident Bodenmann, wiederholt ja ständig die Litanei des verkrusteten Binnenmarktes Schweiz, der zur Hochpreisinsel führe. Dass – neben den unbestrittenen Exporterfolgen – auch die binnenorientierten Branchen der Schweiz ihre Produktivität seit 1990 insgesamt schneller gesteigert haben, als die entsprechenden Branchen anderer Länder, muss in dieser Analyse verschwiegen bleiben. Alle geplanten grossen Liberalisierungsrunden im Binnenmarkt brächten – gemäss Arbeitsmarktspezialist George Sheldon eine Erhöhung des BIP um höchstens 0.0013 Prozent. Kurz: sie sind aus dieser Perspektive vernachlässigbar.
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Die Staatsausgaben allerdings – so hören wir immer wieder – würden gefährlich steigen. Allerdings gilt es hier zwischen Investitions- und Konsumausgaben des Staats zu unterscheiden. Letztere wuchsen in unserem Land von nur um 0.9 auf 12 Prozent des BIP. Massiv explodiert ist dagegen die Finanzquote. Die einheimische Ausgaben für Finanzdienstleistungen stiegen nämlich in der gleichen Zeit um 6.5% auf 20.3% des BIP. Dies bedeutet für die Wirtschaft eine jährliche zusätzliche Belastung von 25 Milliarden. Dies zeigt, dass auch für das Wohlergehen der Wirtschaft im engeren Sinne nicht die Frage der Steuerbelastung ausschlaggebend ist. «Billiges Geld» ist gerade für die arbeitsplatz-schaffenden KMU, welche ja oft an Liquiditäts- und nicht an Ertragsproblemen scheitern, ein wesentliches Schmiermittel. Dass daneben die Steuern durch den Staat in notwendige Infrastruktur und in für die Schweiz wesentliche Bildung investiert wird, auf welche letztlich die ganze Wirtschaft zurückgreifen kann und muss, sei hier nur der Vollständigkeit halber zusätzlich erwähnt.
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Ebenfalls an Aktualität gewinnt der zweite von Löpfe und Vontobel analysierte Flaschenhals. Es sind die stark steigenden Bodenpreise. Rein von den Kosten (Kosten des Wohnungsbaus und Hypothekarzinse) her hätten die Mieten 2004 statt 32% teurer rund ein fünftel billiger sein müssen als 1990. Wahnsinn! Vor diesem Hintergrund empfehle ich nochmals die Lektüre der im P.S. erschienenen Serie von Jacqueline Badran gegen die Abschaffung der Lex Koller. Nicht nur grüne – landschaftsschützerische – Argumente sprechen klar dagegen, dieses sinnvolle Instrument ersatzlos aufzugeben. Eigentlich müsste im Gegenteil die – sicher unpopuläre – Idee von Instrumenten wieder aufgegriffen werden, wie der Gewinn von Bodenbesitz effektiv abgeschöpft und vergesellschaftet werden könnte. Der Boden als wirklich nichterneuerbare und beschränkte Ressource muss wirtschaftspolitisch endlich angemessen wertgeschätzt werden.
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Weil ich die Debatte in den letzten Tagen nicht verfolgen konnte, muss ich auf einen aktuellen Kommentar zu Blochers Ausfällen gegen das Antirassismusgesetz verzichten. Dennoch kann ich mir eine allgemeine Anmerkung nicht verkneifen. Ich finde es doch überraschend, dass bis zu meiner Abreise kein Kommentator den Zusammenhang zwischen Blochers gezielten Provokationen und der zweiten, parallelen Kampflinie der SVP gezogen hat: der Minarett- oder allgemeiner, der Anti-Islam-Debatte. Seine Partei schürt also in der Schweiz einen christlichen Kulturkampf gegen den Islam, während ihr «Vordenker» die islamischen Rechtfertiger eines Völkermords an Christen reinwaschen und den Sanktionen unseres demokratisch beschlossenen Antirassismus-Gesetzes entziehen will. Eigentlich wäre eine Attacke von rechts gegen Blocher unter diesen Vorzeichen wirklich fällig, ich bin gespannt, ob sie in meiner Abwesenheit bereits stattgefunden hat.
Balthasar Glättli