Als ich 1998 in den Gemeinderat und dort in die Geschäftsprüfungskommission gewählt wurde, erlebte ich, was mir heute seltener scheint: dass sich eine Kommission klar zu ihrer institutionellen Rolle als kritischer Gegenpart des Stadtrats zusammenrauft. Über Parteigrenzen hinweg.
Umso mehr freute es mich, dass die Rechnungsprüfungskommission (RPK) ihren kritischen Bericht zur Züri Forum AG einstimmig verabschiedete und damit auch sechs klare Empfehlungen an den Stadtrat aussprach. Leider nahm der Stadtrat die berechtigte Kritik nicht ernst. Er verschanzte sich wortreich hinter seiner bisherigen Position. Und zu befürchten ist, dass er diesen Fehler nicht nur im Bereich Vergangenheitsbewältigung macht (damit hatte sich die RPK zu befassen), sondern auch im Handeln in die Zukunft (damit hatte sich gestern der Gemeinderat zu befassen – ich gehe zum Zeitpunkt des Schreibens davon aus, dass die Motionen von Grünen/AL/SP und der CVP/EVP angenommen wurden, auch wenn sich die SVP der Sicht der Hochfinanz angeschlossen haben wird und ihre eigenen RPK-Vertreter im Regen stehen liess).
Der Stadtrat, insbesondere die Stadträte Vollenwyder und Martelli, setzten dem einstimmigen Verdikt der Kommission nicht Inhalte entegen. Es gab keine Entscheide zu mehr Transparenz. Dem Hinweis, dass der Gemeinderat bald per Weisung entscheiden könne, fehlt auch die Überzeugungskraft, da selbiges schon früher schriftlich versprochen war. So blieb den Stadträten als einzige Reaktion, die unangenehme Tatsache mit einer klaren Kommunikationsstrategie herunterzuspielen. An der Medienkonferenz setzte sie der Leiter Kommunikation des Hochbaudepartements um, Spin-Doktor Urs Spinner. Nach Ablauf mischte er sich jovial unter die Journalisten, bezeichnete die Arbeit der Kommission als Debatte um Fussnoten (dabei ging es unter anderem um grundlegende Fragen der Kompetenzordnung) und sinnierte freimütig, er als Nichtjurist sei bei all diesen Details etwas verwirrt gewesen – damit wollte er wohl unterstellen, auch die anderen Anwesenden, insbesondere die Mitglieder der RPK hätten wohl eher aus höherer Verwirrung denn aus besserer Kenntnis geurteilt.
Das war eine durchsichtige (auch Stadtrat Vollenwyder liess sich ähnlich zitieren) aber auch etwas peinliche PR-Übung. Die detailliert begründeten Empfehlungen der RPK werden nun als Kleinlichkeit, als Kritik an den Fussnoten abgetan. Hätte die RPK weniger detailliert gearbeitet, wäre ihr wohl umgekehrt Oberflächlichkeit und Schussligkeit vorgeworfen worden.
Tatsache bleibt: Der Stadtrat hat eine selbstgemachte Dringlichkeit zum Anlass genommen, den Gemeinderat auszuhebeln. Er hat ganz klar (dies wird als einziges sogar von ihm selbst eingestanden) das Bruttoprinzip verletzt resp. dem Gemeinderat eine Vorlage vorgelegt, die nicht erkennen liess, dass diese mit Verrechnungen arbeitete (Nettoprinzip). Und er hat auch in der Folge die Aufforderung der RPK, bis zu einem politischen Entscheid des Gemeinderats keine weiteren Gelder für die Zürich Forum AG freizugeben, trickreich so umgesetzt, dass tatsächlich weiter geplant wurde.
Die Konsequenz ist ein Scherbenhaufen. Und das ist keinesfalls die Schuld des Gemeinderats, der ja seit Jahren erfolglos den Einbezug und damit auch einen Teil der Mitverantwortung einforderte.
Vollenwyder und Martelli verrannten sich, weil sie meinten, sie müssten zuerst ein vollständiges Projekt präsentieren, damit dann der Gemeinderat entscheiden könne – auch wenn diesem bloss noch bleibt, Ja oder ein zwei Millionen teueres Nein zu sagen. Grund für dieses Vorgehen mag nicht nur der Wille sein, den Gemeinderat zu umgehen. Sondern vielleicht schlicht die Angst, das Projekt würde sonst viel früher scheitern an kumulierten Widerständen gegen Standortwahl, Abbruch des alten Kongresshauses, architektonischen Entwürfe und gegen das Vorgehen via PPP – und umgekehrt die Hoffnung, dass ein überzeugendes Gesamtpaket eben diese Widerstände überwinden könnte.
Spätestens nach der mit feurigen Voten begleiteten äusserst unüblichen Ablehnung des dringenden Zusatzkredits für die Beteiligung an der Zürich Forum AG wäre aber eine neue Risikoanalyse notwendig gewesen. Und selbst jetzt wäre ein Neustart noch möglich, wenn auch teurer als damals. Wer ein ideal gelegenes, mit dem öffentlichen Verkehr erschlossenes Kongress-Zentrum mitten im Herzen von Zürich zum Beispiel im Stadtraum HB will, der lässt besser zu spät als nie Trotz und Traumtänzerei am See hinter sich.
Dies braucht keine jahrzehntelange Verzögerung zu bedeuten. Das hat ja der Stadtrat selbst bewiesen. Wie sonst wäre der Neubau des Letzigrund Stadiums rechtzeitig für die EM 2008 möglich geworden? Umsichtig wurden die Karten auf den Tisch gelegt. Rasch AnwohnerInnen als mögliche EinsprecherInnen einbezogen. Offen der ehrgeizige Fahrplan und die damit verbundenen Risiken kommuniziert. Auf eine PPP und den damit verbundenen Zwang auf Mantelnutzung mit Nebenwirkungen wurde verzichtet und rasch Gemeinderat und Stimmberechtigte vor die Frage gestellt, ob sie die dadurch entstehenden hohen Kosten auch zahlen wollten.
Martelli hat so ihr Meisterstückli abgelegt. Martin Vollenwyder dagegen, dem viele viel mehr zutrauen, hat parallel dazu das seinige gründlich verpatzt. Geplatzt sein könnten damit auch die Ambitionen auf den Rückgewinn des Stadtpräsidiums durch den Freisinnigen. Zu offensichtlich sind die Parallelen zum FDP-Baufilz von anno dazumal. Die Ära der SP-Stadtpräsidenten brach ja nicht zuletzt als Reaktion auf eben diese Geschichten an. Zurück blieb ein abgesetzter Ex-Stapi Wagner, von dem mir eine Situation bleibend in Erinnerung bleibt. Er warb im Rat um Zustimmung, versuchte Einwände zu entkräften und schloss: “Da gebe ich Ihnen mein Wort. Und sie wissen, was das zählt!” Der Rat brach in schallendes Gelächter aus.
Heute fungiert Wagner als Promoter für das neue Zürcher Kongresshaus…
Balthasar Glättli