blogpost_pszeitung_squareMit der Sachpolitik ist’s so eine Sache.
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Letzte Woche wurden aufmerksame politische Beobachter Zeugen eines argen Rückfalls. Eigentlich hatte sich die Beziehung zwischen Grünen und Grünliberalen ja in der letzten Zeit normalisiert. Beidseitiger Erfolg machte dies auch einfacher. Und die Normalisierung war nicht falsch. Wenn an die Stelle von mit Mühe versteckten Gehässigkeiten zweier Gruppen ein normaler politischer Wettbewerb und Konkurrenz treten, wie sie auch zwischen anderen Parteien stattfinden, dann ist dies für die Politik gut und für Beteiligte wie Unbeteiligte auch angenehmer.
Die Nicht-Wahlempfehlung der GLP Stadt Zürich zu den Ersatzwahlen in den Stadtrat sprach allerdings offensichtlich eine andere Sprache. Hinter dem hölzern formulierten Statement stand die kalte pure Arroganz derer, die nicht bloss vieles besser wissen, sondern überzeugt sind, alles nur selber wirklich richtig zu machen.
Dass es wohl kaum einen bekannten Stadtzürcher Politiker gibt, dem der Umweltschutz so egal und sein eigenes Auto so lieb ist, wie Mauro Tuena, daraus macht nicht einmal er selbst ein Geheimnis. Aber das kann den so genannt Grünliberalen ja egal sein. Hauptsache, sie konnten den Grünen eins auswischen und Ruth Genner als langweilige Vertreterin eines nicht näher sachlich kritisierten «Status quo» bemäkeln.
Ganz offensichtlich plädieren die so genannt Grünliberalen nur dann – aber dann mit Verve – für die Politik des kleineren Übels und der Kompromisse, wenn ihre eigenen Kandidierenden die Nutzniessenden sind. Sonst ist’s mit ihrer Attitüde der «Sachpolitik» nicht weit her. Das sei all den mit der GLP flirtenden JournalistInnen ins Stammbuch geschrieben. Ins Stammbuch geschrieben all den ehemals grün oder sozialdemokratisch Wählenden, welche der neuen Partei letztes Jahr Kredit gegeben oder zumindest – im zweiten Wahlgang – auch Verena Diener in den Ständerat gewählt haben. Ins Stammbuch geschrieben also auch mir selbst.
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Spannend und sowohl politischer wie auch sachlicher zugleich ist der amerikanische Wahlkampf in den letzten Tagen aufgefallen. Konkret: Barack Obama und sein Statement zu seinem Pfarrer Wright und dessen rassistischen Ausfällen. Zu den Akten: ich habe mich selbst vom anfänglichen Barack Fan unterdessen zum Hillary Supporter gewandelt. Weil mir ihre trockene Fachkompetenz, wenn es wirklich um die Wurst geht, lieber ist als diffuse Heilsversprechungen. Weil mir das unpolitische Label, kein « Washington Insider» zu sein, letztlich weniger überzeugend scheint als die Möglichkeit, dass Hillary aus dem Scheitern ihres ersten Versuches lernen und endlich den Staaten ein Krankenversicherungssystem bringen könnte, das die Bezeichung modern und fair verdient. Und genau in dem Punkt liegt ja übrigen auch – inhaltlich – die grösste Schwäche des Kommunikationswunders Barack Obama.
Stark dagegen fand ich seine Rede zum Rassismus in den Staaten, sehr stark. Statt das Problem einfach wegzuputzen, versuchte Barack in abwägenden Formulierungen eine Problembeschreibung zu geben. Statt sich bloss mit eingängigen Schlagworten  zu distanzieren, schilderte er glaubwürdig die weiter bestehende Zerrissenheit der USA. Und weigerte sich, das schwierige Terrain einfach zu verlassen. In der Debatte spiegle sich, wie vertrackt die Rassenfrage tatsächlich sei, noch überhaupt nicht überwunden – eine Aufgabe für die Zukunft: «And if we walk away now, if we simply retreat into our respective corners, we will never be able to come together and solve challenges like health care, or education, or the need to find good jobs for every American.»
Man wünscht sich diese offene Haltung auch für die Schweiz. Zwar haben die USA in der Rassimus-Debatte etwas Wichtiges voraus: Dort kann man sich positiv beziehen auf einen «Mythos» der vielfältigen Herkunft. Aber wir  in der Schweiz sind schon bei weit weniger explosiven Themen wie der neuen grossen Frage um eine gute Schule und Bildung nur eifrig am Deklinieren der jeweiligen ideologischen Glaubenssätze.
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Tibet und Kosovo. Diese Gegenüberstellung gibt Anlass zur dritten kleinen Einlassung. Vorausmarschiert ist die Schweiz mit der Anerkennung des neuen Staates. Viele in meiner Bekanntschaft finden dies gut. Wenige machen, wie ich selbst, ein grosses Fragezeichen. Allen gemeinsam ist allerdings, dass niemand diesen neuen Staat als in der Tradition des Völkerrechts legitim betrachtet. Die Befürworter argumentieren schlicht, hier sei das Völkerrecht aus höheren Gründen revisionsbedürftig. Wenig zur Sache tut hier, dass wer faktisch das Völkerrecht einfach durch die Wunschliste von USA und NATO ersetzt, mit seinen höheren Gründen noch auf die Welt kommen wird – das bleibt darum ein kleiner Einschub.
Völkerrechtlich klar zweifelhafter als die Situation von Kosovo ist der Status Tibets. Die meisten Staaten anerkennen zwar offiziell die Zugehörigkeit zu China, durchaus namhafte Experten nehmen aber eine andere Haltung ein.
Würde die Schweiz etwa hier eine Anerkennung ins Auge fassen? Nein. Und die Beispiele machen klar, dass wer ohne Verständnis für das Völkerrecht und seine Geschichte in internationalen diplomatischen Fragen einfach «das Gute» will, das Böse schafft. Der Macht des Stärkeren vollends Durchbruch schafft.
Die Aufklärung kannte auch die Figur des aufgeklärten, absoluten Herrschers. Wesentliches Kennzeichen war hier die Anerkennung einer im Vergleich zu früher unabhängigen Judikative. Wer sich heute schlicht das bessere Urteil über richtig und falsch zumisst und meint, er könne deshalb über ein veraltetes und aus der Mode gekommenes Völkerrecht leichten Schritts einfach hinweggehen, der macht einen Schritt zurück. Zurück vor die Aufklärung. Und nicht hin zu einer anzustrebenden gerechteren Weltbürgerordnung der Zukunft.