(C) by swale@flickr
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Für jemand anders entschuldigen kann man sich ja eigentlich nicht. Aber zumindest muss ich einleitend ein Korrigendum anbringen zur Legende des Finanzkrisen-Gedichts von Tucholsky, die auch in dieser Spalte letzte Woche weiter verbreitetet wurde. Nein, das Gedicht ist nicht von Tucholsky, sondern erschien erstmals in der Preussischen Allgemeinen Zeitung am 27. September diesen Jahres. Es ist von Richard G. Kerschhofer, auch Autor in der rechtskonservativen, den Freiheitlichen nahestehenden Oesterreichischen Zeitschrift Zeitbühne. Und dieser Hintergrund, verbunden mit der lauffeuerartigen Verbreitung des Gedichts via email sagt uns eins: wenn Linke und Grüne bei der Kritik am Finanzsystem sich bloss aufs Demaskieren der Bonzen und moralinsaures Jammern beschränken, werden sie zwar Zustimmung auch von rechts aussen erhalten. Aber fundierte Kritik muss natürlich darüber hinaus gehen. Es sind nicht die «Schlechtmenschen», nicht ein paar bösen Manager allein schuld an der Misere – darum ist die Rückzahlung von ein paar Wuffli-Millionen (nicht an die Steuerzahler sondern an die staatsgestützte UBS) auch bloss ein symbolisches Fehlereingeständnis und keine Lösung des Problems. Nein, es braucht heute einen effektiven «Green New Deal» – wie ihn die Erklärung von Bern z.B. in ihrem lesenswerten Online-Dossier zur Finanzkrise vorstellt.
Für meinen grünen Kollegen Kunz zumindest gibt es einen Trost. Beim Kulturkritisieren ist?s wie beim Finanzkollabieren: Man ist von Welt, und nichts geht über gute Gesellschaft. Und die hat Markus Kunz ja auch. Laut Süddeutscher Zeitung sollen nicht nur der Berliner Indendant Claus Peymann, sondern auch der Publizist Roger de Weck und der neu-CDUler Oswald Metzger reingefallen sein.
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Vom Zitate- zum strahlenden Müll. Der war Thema letzte Woche im Kanton Zürich ebenso wie in Deutschland. Der Castortransport ins deutsche Atomlager Gorleben erlebte die seit langer Zeit massivsten Proteste. Eine neue Generation Protestierender machte, wie der Spiegel beschrieb, ihre erste Erfahrung im gewaltlosen aber hartnäckigen Protest.
In der Schweiz sind die Endlager erst Planungswünsche. Aber auch hier wehren sich die AnwohnerInnen dort, wo der Atommüll zwischen- oder ?end?gelagert werden soll. Zu Recht. Und zu Recht auch im Kanton Zürich. Denn wenn erst einmal ein Lager eröffnet wird, ist dies ein Freipass für Betriebsverlängerungen bestehender Atommeiler oder gar für den Bau neuer AKWs. Auch wenn dies die NAGRA anders behauptet: politisch öffnet ein die Tür zu neuen AKW. Und bringt – weil alle anderen Standorte sich dann umso mehr wehren – der umliegenden Region praktisch die Garantie, dass neben dem ersten ein zweites und drittes Lager entsteht.
Nicht vergessen werden darf, Gorleben lässt grüssen, die Frage der gefährlichen Transporte. Was schon für die AKWs gilt – dass sie spätestens bei einem gezielten Terroranschlag im 9/11 Stil nicht sicher sind – gilt umso mehr für die Transporte.
Atomkraftkritiker fordern darum zuerst den Ausstieg. Nur so wird kein neuer Atommüll erzeugt. Nur so kann das Ausmass des Problems beschränkt werden. Nur so kann eine schwierige Diskussion folgen über den Umgang mit den Abfällen – immerhin weiss man dann, von welchen Mengen (inkl. Abraum der AKWs) man spricht.
Aber ganz grundsätzlich gibt es mit heutiger Technologie keine sichere Lösung. Der Geist ist aus der Flasche. Denn die zeitliche Dimensionen des Atommüllproblems ist kaum vorstellbar. Die Lager müssen den Abfall mindestens eine Million Jahre von der Biosphäre fernhalten. Zum Vergleich: die ältesten Funde des Homo Sapiens sind gut 30’000 Jahre alt. Und noch vor 10’000 Jahren haben unsere Gletscher ganze Täler ausgehoben… nicht weit entfernt von den heute geplanten Lagern. Die Keilschrift als eine der ältesten bekannten Schriften ist 6000 Jahre alt: könnten Sie heute eine in Keilschrift geschriebene Warntafel lesen oder abstrakte Botschaften aus (wesentlich älteren) Höhlenmalereien entziffern?
Auch darum wird heute auf die Rückholbarkeit der strahlenden Abfälle gesetzt. Man hofft dabei, dass die Technik von übermorgen Lösungen für die unlösbaren Probleme von heute bringt. Wie übrigens Experten schon 2005 an einer Orientierung von Klar Schweiz ausführten, ist aber das Schweizer Konzept der Lagerung im Opalinuston nicht mit dem Prinzip der Rückholbarkeit vereinbar: Ein Argument mehr gegen die hier geplanten Lager. Nicht mal das Prinzip Hoffnung funktioniert auf diese Weise.
Aus diesem Grund ist ein überzeugtes JA am 30. November zur « Verankerung der Nachhaltigkeit und der 2000-Watt-Gesellschaft» in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich wichtig. Als Signal gegen neue AKWs und damit auch gegen einen neue Generation von strahlendem Müll.
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Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung zu den anstehenden Ersatzwahlen ins Stadtpräsidium und in den Stadtrat. Das Quartett der SP kennen wir nun – und ich hoffe, dass die interne Auswahlphase auch dazu führt, dass die Kandidierenden ihre Vision für die Stadt Zürich klar aufzeigen. Rot-Grün hat in Zürich – trotz oder vielleicht gerade auch wegen viel erfolgreicher Politik im Alltag und auch wegen der guten Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg im Stadtratsgremium – ein wenig vergessen, wie zentral eine ökologisch und sozial ausgerichtete Politik für unsere Stadt ist.
Nur wenn die SP-Kandidatur auch echte Begeisterung wecken kann ohne grad zwei, drei neue Stadien zu versprechen, wenn sie eine Vision für ein «Zürich 2020» entwickelt, hat sie eine Chance, gegen die moderat auftretende und bekannte Kathrin Martelli zu gewinnen. Gelingt die Mobilisierung, sollte das gut zu schaffen sein. Aber mit heraufbeschworener Angst vor SVP allein lässt sich für die SP höchstens ein Stadtratssitz erkämpfen.
Kolumne Grüne Gedanken zur Woche im P.S. vom 13.11.2008