blogpost_polanskiroman_squareDen Aufruhr um Polanskis Verhaftung verstehe ich nicht. Wenn schon verstehe ich noch eher Roger Köppels Irritation am Dienstagabend im TalkTäglich darüber, dass erst jetzt die Verhaftung vorgenommen wurde. Mit wie viel plötzlicher Energie sich nun Künstlerinnen und Künstler nicht nur aus der Filmbranche für eine Freilassung des Regisseurs einsetzen, ringt mir Bewunderung ab – der Inhalt vieler Statements aber bringt mich nur zum Kopfschütteln.
Was nun gespielt wird, ist kein Drama, auch kein Justizskandal, sondern bloss ein schlechter Groschenroman. Nicht würdig eines Hauptdarstellers Polanski, der selber als Regisseur die Gewalt in seinen Filmen nicht weggeredet, versteckt oder im Happyend aufgelöst hat – das Ende von Chinatown lässt grüssen.
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Unzumutbar seien ein paar Wochen Ausschaffungshaft für eine lang vergangene Tat. Nun ja, ich wünschte mir, all die Künstlerseelen würden sich nur mit einem Zehntel ihrer Empfindsamkeit ebenso publikumswirksam betroffen fühlen, wenn in der Schweiz täglich Menschen eingeknastet werden in Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft für kein grösseres Delikt als dies, ohne Bewilligung innerhalb unseren Landesgrenzen zu leben und nicht bei ihrer Rückschaffung zu kooperieren. Bis zu zwei Jahre lang. Da scheint mir im Gegensatz dazu die Auslieferungshaft Polanskis durchaus vertretbar, welche erreichen will, dass es zur gerichtlichen Beurteilung eines Täters kommt, der bereits zugegeben hatte, sich an einer 13jährigen sexuell vergangen zu haben und der – wegen einer unüblichen, womöglich gar rechtlich unkorrekten Wende des damaligen Richters – sich bereits einmal durch Flucht dieser Beurteilung entzogen hatte.
Richter Rittenband ist seit 1993 tot. Die gleiche weltweite Aufmerksamkeit, welche bereits jetzt den Fall zum Topthema macht, wird Garant dafür sein, dass die amerikanische Justiz sich nun an die eigenen Regeln hält. Wir sprechen ja nicht über Rückschaffungen nach Libyen. Die im übrigen von der Schweiz weiterhin vollzogen werden… aber ja, ich wiederhole mich.
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Das pochen auf Rechtsgleichheit treffe nicht den Kern der Sache; Rechtsungleichheit könne – wenn überhaupt – nur zum Schaden Polanskis angeführt werden, so hat Daniel Vischer sich zitieren lassen. Denn als Joe Average wäre Polanski kaum geehrt und darum seine Anreise auch nicht bekannt gewesen – das ist der einzig für mich verständliche Teil seiner Ausführungen zum Fall (die ich sonst nicht teile). In eine andere Richtung, aber ebenfalls mit dem Argument der Rechtsungleichheit, argumentieren all diejenigen Medien, welche nun minutiös alle Mobutu, Richs und Konsorten auflisten, welche von der Schweiz unbehelligt hier geblieben seien. Vom blutigen Fluchtgeld, das nicht via internationalem Haftbefehl an der Grenze gestoppt werden kann, gar nicht zu reden. Nun ja, hier – und nur hier – würde ich es durchaus für treffend halten, was die Polanski-Soliaritätsszene ihrerseits in Bezug auf die Verhaftung des Regisseurs sagt: dass man sich grad als Schweizer für die Schweiz schämen muss. Aber uns schämen dafür, dass unser Rechtssystem abseits und jetzt halt auch einmal gegen die Konjunktur der öffentlichen Empörung einiger Berühmter funktioniert? Das müssen wir definitiv nicht.
Verziehen habe das damalige Opfer dem Täter unterdessen, wird schliesslich angefügt. Für mich allerdings ein wenig taugliches Argument. Denn umgekehrt hat ja auch die persönliche Rache als Strafmotiv keinen Platz in einem Rechtsstaat. Würde das Opfer die Todesstrafe fordern, dann dürfte dies auch keinen Einfluss auf die Höhe der Strafe haben. Denn zur Bemessung der Strafe soll nur die Schuld des Täters relevant sein – das leitet sich für mich als Nicht-Jurist jedenfalls aus dem Schuldprinzip ab.
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Zum Schluss noch zu einer ganz anderen Geschichte. Auch spannend, auch gespickt mit unerwarteten Wendungen, und wer weiss, vielleicht gar gekrönt mit einem Happy End? Ich meine die Ereignisse im Vorfeld der Regierungsrats-Ersatzwahlen. Im Resultat immerhin haben wir mit Daniel Jositsch einen designierten Regierungsratskandidaten, der von links-grün mit Überzeugung gewählt werden kann, ohne dass er bei den mehrheitlich bürgerlichen WählerInnen des Kantons gleich spontane Widerstände hervorruft.
Das ist wohl die bestmögliche Ausgangslage für jeden Kandidaten von Rot-Grün – ob sie genug gut ist für 51% der Stimmen, das wird sich weisen. Den Grünen jedenfalls wäre eine aktive Unterstützung sowohl aus inhaltlicher wie taktischer Sicht anzuraten. Inhaltlich darum, weil der ex-Grüne Jositsch – ganz im Gegensatz zum Ex-Grünen Bäumle – aufs inhaltliche Grundprofil unserer Partei weiterhin gut passt. Abweichungen haben beide im Law-and-Order Ecken. Bei der Stärkung des Sozialstaats und stärkerer gesellschaftlicher Liberalisierung dagegen treffen sich die Grünen mit Jositsch ebenso wie bei der Kritik am wirtschaftsorientierten Neoliberalismus, an der verlogenen «Sparen bis es kracht»-Moral und an ausländerfeindlicher Sündenbockpolitik.
Taktisch geschickt kann eine Unterstützung sein, weil ein Sitzgewinn der SP durchaus die Chancen der Grünen erhöht, bei einem SP-Rücktritt diesen Sitz „erben“ zu können.
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Bleibt das P.S. Die anderen Zürcher Zeitungen haben sich bereits neue Kleider zugelegt: Dasjenige vom Tagi erinnerte mich am ersten Tag ein wenig an die NZZ am Sonntag, gemischt mit AZ. Sorge macht mir weiterhin eher der Inhalt. Nun wird auch bei P.S. renoviert. Grüne und rote Gedanken zur Woche rücken näher zusammen und werden kürzer. Die Redaktion erhält ihren eigenen Kommentarplatz, ganz wie sich das gehört. Und ich bedanke mich für das bleibende Gastrecht der Grünen im P.S. und das etwas leichter zu füllende neue Textformat.
Balthasar Glättli