Das Wissen aus dem Privateigentum befreien!Lesedauer ca. 3 Minuten

Das «Anti-Counterfeiting Trade Agreement» (ACTA) mobilisierte EU-weite Proteste. Piratenfahnen wehten. Schlagworte des Widerstands waren freier Netzzugang, Kampf der Zensur, Stopp der Aushebelung rechtsstaatlicher Prinzipien. Worum geht’s? Ein Artikel in der Handelszeitung.

Das erklärte Ziel von ACTA ist die Stärkung des Kampfs gegen Markenpiraterie und Verletzung von Urheberrechten. Die Verhandlungen sind abgeschlossen. Die Ratifikationsphase hat begonnen. Der Protest in den letzten Wochen kam spät. Doch er zeigte Wirkung: Lettland, Polen, Slowakei, Tschechien, Österreich, Bulgarien, die Niederlande, Litauen und Deutschland und auch die EU selbst haben den Ratifikationsprozess vorerst gestoppt. In der Fragestunde diesen Montag liess Bundesrätin Sommaruga durchblicken, dass auch sie noch offene Fragen habe, die untersucht werden müssten. Dennoch wird der Bundesrat wohl den Vertrag unterzeichnen, über den Sommer eine Vernehmlassung durchführen und dann dem Parlament eine Vorlage unterbreiten.

 

Kritik an ACTA kommt von vielen Seiten. Beklagt wird vorab die fehlende Balance zwischen schützenswerten Interessen und den Rechten der «Angeklagten», Internet-Nutzern aber auch Herstellern z.B. von Generika-Produkten. Die Abteilungsleiterin für Internationales Recht und politische Strategien bei Amnesty International Londen, Widney Brown, kritisiert hier Gummiparagraphen. Statt die Rechtsstaatlichkeit mittels anerkannter Konzepte wie der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu garantierten, verweist ACTA auf unklare «fundamental principles» und erfindet den Begriff eines «fair process», der im internationalen Recht nirgends definiert ist. Was diese unklaren Formulierungen tatsächlich bedeuten, müsste künftig im Streitfall unter Beizug der Verhandlungs-Protokolle erst noch geklärt werden. Doch diese wurden im Gegensatz zum eigentlichen Vertrag bis heute nicht veröffentlicht…

 

Die Diskussion verkompliziert sich, weil ACTA nicht nur das Internet, sondern auch den ganz normalen Warenverkehr betrifft. Mit Verweis auf Markenrechte kann die Auslieferung von günstigen Generika-Medikamenten am Zoll blockiert und mit Bezug aufs Patentrecht der Handel mit Saatgut verzögert werden. Hier haben Industriestaaten und Entwicklungsländer traditionell unterschiedliche Interessen. Entwicklungsländer wehren sich beispielsweise dagegen, dass durch die Patentierung von Saatgut aus jahrhundertealten Sorten plötzlich modernes «geistiges Eigentum» von Multis wie Monsanto wird. Weil die ACTA-Verhandlungen aber nicht im Rahmen der WTO (als Erweiterung des TRIPS Abkommens über « trade-related aspects of intellectual property rights») stattfanden, war die Stimme der Entwicklungsländer überhaupt nicht vertreten. Das Verhandlungsresultat ist entsprechend einseitig.

 

Die Debatte um ACTA mündet aber letztlich in ganz grundsätzliche Fragen. Was sind die Rahmenbedingungen des modernen Wissenskapitalismus, der je länger je mehr auf der Verwertung von Know-How und Kreativität beruht? «Die Knappheit des Wissens, welche ihm Wert verleiht, ist (…) künstlicher Natur. Sie beruht auf der Fähigkeit einer wie auch immer gearteten ‚Macht‘, zeitweise die Verbreitung oder Zugänglichkeit des Wissens einzuschränken» schrieb Enzo Mulliani hierzu treffend. Und der Ökonom Jeremy Rifkin wies in seinem Bestseller «Access» mahnend darauf hin, dass es neben dem Privateigentum, das andere vom Zugang zu einem Gut ausschliesst, auch die lange Tradition des gemeinschaftlichen Eigentums der Allmende gibt: Eigentum als garantierter Zugang zu den «Commons». Was heisst das heute, in einer vernetzten Welt? Würde der gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzen nicht grösser sein, wenn alle vom erarbeiteten Know-How gleich profitieren könnten? Unter welchen Rahmenbedingungen soll künftig Kreativität stattfinden, wie soll jenes Wissen entstehen, das wir als gesellschaftlich wertvoll erachten – sei dies nun die kulturelle Produktion oder sei es auch die wissenschaftliche Forschung z.B. im medizinischen Bereich? Der Erfolg der OpenSource Software zeigt es: jenseits der Privatisierung des Wissens können neue Potentiale gemeinsamer Wertschöpfung erschlossen werden!

Balthasar Glättli, Nationalrat Grüne / Erschienen in der Handelszeitung 15.3.2012