Referat am Jahresfest „Interkulturelle Gärten“Lesedauer ca. 6 Minuten

Am 26.8.2012 war ich eingeladen, am zweiten Jahresfest der „Interkulturellen Gärten“ auf der Kronenwiese, Zürich zu sprechen. Hier mein Referat. Wer sich noch weiter für das Thema Boden- und Agrar-Rohstoff-Spekulation interessiert, dem sei das Buch „Bodenrausch: Die globale Jagd nach den Äckern der Welt“ von Wilfried Bommert empfohlen, dem auch die Beispiele in der Rede entnommen sind.

„Von selbst gewachsen. Nahrung und Nähe im eigenen, gemeinsamen Garten.“

Liebe Gärtnerinnen und Gärtner
Wie auch immer sie genannt werden: Community Gardens, Internationale Gärten, Interkulturelle Gärten – auch die Schlagworte Urban Gardening oder Gartenkooperative liest man in letzter Zeit häufig – diese Projekte, so verschieden sie im Kleinen auch sein mögen, sie alle vereinen Werte, die eigentlich recht unmodern sind. Unzeitgemäss. Ineffizient. Unpassend.

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Weltweit ist heute ein ganz anderer Trend im Vormarsch.
Mit Industrialisierung der Landwirtschaft ist er nur unzureichend beschrieben: Klar werden immer mehr Maschinen eingesetzt, es gibt Monokulturen, Gentechnologie, hybrides Saatgut – das die Bauern von den Saatgutkonzernen abhängig macht, und Gifte gegen jedes Unkraut und jeden scheinbaren Schädling.
Und der klassische Agrar-Freihandel bringt nicht weniger Hunger, sondern zerstört gewachsene Strukturen – allein von 1985 bis 2005 führten Billigimporte in den Subsahara-Raum zu Einkommensverlusten der lokalen Bauern von 272 Milliarden US-Dollar – ganz zufällig ist dies genau der Betrag der Entwicklungshilfe an diese Länder in der in der gleichen Periode.
Aber darüber hinaus ist eine neue Entwicklung im Gange: der Boden und die Nahrungsmittel werden auch immer stärker Gegenstand der Spekulation – öffentlich an den Börsen und auch hinter verschlossenen Türen.
Als gefährliche Folge davon steigen die Nahrungsmittelpreise massiv. Der Hunger nach Agrartreibstoffen, die Suche nach sicheren Investitionsmöglichkeiten und auch die Jagd nach Klimazertifikaten haben aus dem Boden vorab ein gesuchtes Investitionsgut gemacht, die spekulativen Umsätze mit Nahrungsmittel-Optionen betragen ein Vielfaches der effektiven Welternten.

Ein kleines Beispiel des neuen Kolonialismus, der dabei entsteht: 2010 unterzeichnete die Regierung von Sierra-Leone mit dem Schweizer Agrotreibstoff-Konzern Addax & Oryx einen 275 Millionen US-Dollar schweren Vertrag über die Landnutzung.
Auf 10‘000 Hektaren wird für 50 Jahre Zuckerrohr für Agrartreibstoff angebaut, in einem Land wo die Menschen an Mangelernährung leiden.

Ein zweites Beispiel: Der Schweizer Rohstoffgigant Glencore, sonst für andere problematische Geschäfte bekannt, bewirtschaftet in Ländern wie Paraguay, der Ukraine und Kasachstan insgesamt 300‘000 Hektar gekauftes und gepachtetes Land – immerhin die Fläche des Kantons Waadt…

Da stehten die interkulturellen Gärten quer zur Entwicklung!
Gerade weil die Interkulturellen Gärten, die Community Gardens, die Gartenkooperativen so ausserhalb dieser industriellen Nutzenoptimierung stehen, öffnen sie unsere Augen für anderes. Und schaffen Wert, die aus meiner Sicht mehr Zukunft haben als all der Fortschritt der industriellen Technik und der gewinnorientierten Wirtschaft.
Sie öffnen uns nicht zuletzt die Augen dafür, dass wir wohl Sorge tragen sollen – dass aber Sorge etwas anderes ist als Beherrschung und Macht.

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Nichts wächst von selbst – und doch gehört zum Wachsen der Pflanzen, ob Blumen, ob Nahrung, nebst unserer Fürsorge, unserem gemeinsamen Engagement auch ein Stück blindes Vertrauen, ein Stück Glück. Wenn wir ihnen diese Orte bereiten, wenn wir gemeinsam sähen, pflanzen, jäten – dann wachsen die Pflanzen. Sie tragen zwar das ihre dazu bei, doch am Schluss wachsen die Pflanzen doch von selbst.
Meine Vermutung ist, dass es auch beim Zusammenleben der Menschen ähnlich funktioniert.
Wir können zwar einen Boden bereiten, einen guten, und wir können Verständnis aufbauen. Aber wir müssen auch einfach das Vertrauen haben, eine Offenheit, uns aufeinander einlassen, und Rückschläge einstecken.
Denn dieser Prozess ist nicht ohne Rückschläge. Wie auch die Arbeit im Garten und im Feld. Hätten die Gärtnerinnen, die Bauern nach jeder schlechten Ernte einfach aufgegeben, das Vertrauen verloren, die Geduld – dann wäre die Menschheit schon längst verhungert.
Mir scheint heute, dass in unserem Zusammenleben diese Geduld, aber auch das Vertrauen fehlt. Von der Politik wird verlangt, dass sie alle Unsicherheiten aus dem Wege räumt, dass mit Integrationskursen und Integrationsvereinbarungen Anpassung erzwungen und Konflikte aus dem Weg geräumt werden, bevor sie entstehen.
Statt dass wir merken, dass eine gemeinsame Zukunft eben erst dort zu leben beginnt, wo wir gemeinsam uns an Projekte machen, eben gerade auch Räume für Konflikte schaffen, dass Vertrauen erst dort entsteht, wo wir auch uns aneinander reiben, unterschiedliche Interessen, unterschiedliches Verständnis ausgesprochen wird. Vertrauen entsteht dort, wo auch die Möglichkeit des Konflikts vorhanden ist, zugelassen wird.

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Community Gardens, Internationale Gärten, Interkulturelle Gärten, Urban Gardening, Gartenkooperative, Selbstorganisation der Kleinbauern – es gibt diese Projekte auf der ganzen Welt: in den industrialisierten Gebieten wieder wie auch in jenen, wo sie noch einer alten Tradition entsprechen.
Es gibt eben nicht nur die brutale Globalisierung der Waren, der Investitionen, der industrialisierten Ausbeutung der Natur.
Es gibt eben auch eine Art Globalisierung der Menschen, die an dem Ort auf der Welt neu zusammenfinden, an dem sie leben, die Globalisierung der Kultur, im Sinne einer sorgfältigen Kultivierung der Natur und der menschlichen Beziehungen.

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Liebe Gärtnerinnen und Gärtner
dass Sie mir hier zugehört haben, dafür möchte ich mich am bei Ihnen allen bedanken – und besonders natürlich bei Wanda Keller für die Einladung, hier aufzutreten.
Für mich sind engagierte GärtnerInnen wie sie, Projekte wie diese Ermutigung, mich auch politisch weiter einzusetzen
A) politisch einzusetzen für das gegenseitige Verständnis und die Verständigung von Menschen mit unterschiedlichen Geschichten statt für Ausgrenzung und Angstmacherei, für Zusammenarbeit, für die Überwindung der Sündenbockpolitik und dafür, dass wir den Garten auch als Beispiel dafür nehmen, was im Zusammenleben möglich ist – dass Kartoffeln und Bohnen, Tomaten und Zuchetti ganz unbeeinflusst ihrer Geschichte und Herkunft
B) aber auch dafür, mich politisch einzusetzen für ein Verständnis von Landwirtschaft und eine Nahrungsproduktion, welche die Ernährungssouveränität in einem umfassenden Sinne ins Zentrum steht – im Sinne

  1. dass die Hauptaufgabe der Landwirtschaft nicht die (agrar-industrielle) Produktion für den Export ist, sondern die lokale Produktion für Nahrungsbedarf der jeweiligen Bevölkerung.
  2. dass möglichst viele Bauern, allein oder auch im Kollektiv auf eigenem Land produzieren können, und dass LandarbeiterInnen müssen zu anständigen sozialen Bedingungen arbeiten können.
  3. dass Handelsbeziehungen fair sind, mit kostendeckenden Preise, die anständige Löhne ermöglichen
  4. dass auf Exportsubventionen für Lebensmittel und Agrarprodukte verzichtet wird, damit lokale Bauern vor Billigimporten geschützt sind
  5. dass Spekulation mit Nahrungsmitteln, “Landgrabbing” und “Watergrabbing” verboten wird.

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Wenn Boden dagegen nur noch Produktions-Ressource ist, Investitionsgut wird, und Nahrungsmittel bloss börsengehandelte Rohstoffe sind – dann schaffen wir nicht nur weltweit mehr Hunger, mehr Ungleichheit, mehr Heimatlosigkeit.

Wir verlieren auch den Kontakt zu einer der Wurzeln überhaupt unserer menschlichen Gemeinschaft, zur Wurzel unserer Kultur. Kultur, das ist ja nicht nur Musik und Dichtkunst, gemeinsame erlebte Geschichte und einander erzählte Geschichten, nein, Kultur, das ist ja im ursprünglichen Sinne auch eben die gemeinsame Bearbeitung und Pflege der Natur: cultura heisst ja lateinisch „Bearbeitung, Pflege, Ackerbau“. Und wir wissen aus der Menschheitsgeschichte, dass eben mit der Kultur, dem Ackerbau, auch die Sesshaftigkeit, das Zusammenleben, das gemeinsame Sorgetragen in einer Gemeinschaft untrennbar verbunden sind.

In dem Sinne sind die Interkulturellen Gärten ein Projekt an der Schnittstelle dessen, was eben Menschsein ausmacht: Kultur im Sinne der Äcker, der Gärten, Kultur aber eben auch im Sinne der Pflege des Zusammenlebens. Darum wünsche ich Ihnen von Herzen mit diesem Projekt das, was sie neben der eigenen Anstrengung und Leidenschaft auch noch brauchen, damit hier immer Neues wachsen kann: gutes Wetter und Glück!

Referat Balthasar Glättli am zweiten Jahresfest „Interkulturelle Gärten“, 26.8.2012 auf der Kronenwiese, Zürich