Unser Überfluss macht andere hungrig.Lesedauer ca. 4 Minuten

Gehören Sie wie ich zu jenen Konsumenten, die darauf achten, Fleisch aus Schweizer Produktion zu kaufen? Dann habe ich News für Sie: Auch Schweizer Rind ist heute brasilianisches Fleisch. Immerhin importieren wir täglich 700 Tonnen Soja als Tierfutter allein aus Brasilien. Der offizielle Selbstversorgungsgrad von sechzig Prozent blendet aus, dass für die Produktion von Futtermittel im Ausland über 200’000 Hektaren Land benötigt werden. Das entspricht fast nochmals der Schweizer Ackerfläche.
Dass Länder ihre Äcker auslagern, ist nicht einzigartig. Neuerdings wird vermehrt nicht bloss Futtermittel importiert, sondern der fruchtbare Boden gleich direkt gekauft oder gepachtet. Ein Modell, das China in Afrika im grossen Stil erprobt. Aber auch Schweizer Konzerne machen mit bei diesem Landgrabbing. Zwei Beispiele: Glencore bewirtschaftet in Ländern wie Paraguy, der Ukraine oder Kasachstan insgesamt 300’000 Hektaren gekauftes oder gepachtetes Land! Und der Schweizer Agrotreibstoff-Konzern Addax Bioenergy hat 2010 mit Sierra Leone für 275 Mio US$ einen Pachtvertrag über 10’000 Hektaren Land abgeschlossen und wird dort jahrzehntelang Ethanol aus Zuckerrohr produzieren. Nahrung für die hungrigen Schlünde unserer europäischen Benzintanks. Finanziert von Entwicklungsbanken. Und dies, wie «Brot für alle» anmerkt, in einem Land, wo Mangelernährung herrscht.
Landgrabbing ist der neueste Exzess einer negativen Globalisierung. Lange Zeit wurde vor allem der Agrarfreihandel gefördert. Länder, die Kredite brauchten, wurden von ihren Kreditgebern angehalten, den eigenen Agrarmarkt für Importe zu öffnen und umgekehrt selbst Produkte für den Weltmarkt zu produzieren. Beides hatte negative Konsequenzen.

Die konkreten Probleme des Agrarfreihandels

Schauen wir zuerst an einem konkreten Beispiel, welche Folgen der Zwang zur Öffnung der Agrarmärkte für die Länder im Subsahara-Raum hatte. Von 1985 bis 2005 haben Billigexporte aus dem Norden in diese Länder zu Einkommensverlusten der dortigen Bauern von 272 Milliarden US$ geführt. Dieselbe Zahl finden wir in einer ganz anderen Statistik wieder. Die Entwicklungsorganisation Christian Aid hat berechnet, wieviel die Entwicklungshilfe für die gleichen Länder in derselben Zeitspanne betrug: auch 272 Milliarden US$. Im Klartext: Der Export von subventionierten Überschüssen der industriellen Landwirtschaft zu Dumpingpreisen zerstörte gewachsene Selbstversorgungsstrukturen – die Verursacher versuchten danach, dies durch Entwicklungshilfe zu kompensieren.
Aber auch die forcierte Ausrichtung der Produktion auf den Weltmarkt hat negative Folgen. Jahrelang wurde vielen Ländern einzig der Kaffeeanbau empfohlen. Es entstanden Überkapazitäten, der Preis fiel zusammen, die betroffenen Staaten erlitten massive finanzielle Verluste.

«Ernährungssouveränität» als solidarisches Gegenkonzept

Via Campesina, die internationale Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern, kritisierte darum 1996 am Welternährungsgipfel eindringlich den internationalen Agrarfreihandel. Er führt dazu, dass in Entwicklungsländern immer mehr Kleinbauern ihre Existenz verlieren, die Nahrung für Menschen statt Rohstoffe für den Weltmarkt produzieren. Via Campesina entwickelte das Konzept der «Ernährungssouveränität» als «Recht aller Völker, Länder und Ländergruppen, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik gemäss den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung selbst zu definieren, sofern diese keine negative Wirkung auf andere Länder hat.»
In der Romandie ist, nicht zuletzt dank der Bauerngewerkschaft uniterre, dieser umfassende Begriff der Ernährungssouveränität präsent, der auch die Rücksichtnahme auf andere einschliesst. In der Deutschschweiz dagegen wird Ernährungssouveränität oft auf Versorgungssicherheit reduziert. Entsprechend verankerte der Nationalrat in der Agrardebatte zwar diesen Herbst erstmals die Ernährungssouveränität als Ziel der Schweizer Landwirtschaftspolitik im Gesetz. Allerdings in einer amputierten Form, die das solidarische Konzept auf eine Schweizer Igelperspektive reduziert. Genau das brauchen wir allerdings nicht. Wir brauchen keine neue Anbauschlacht und keinen neuen Plan Wahlen. Sondern eine nachhaltige Umstellung der Nahrungsmittelproduktion und des Konsums.

Geniessen wir wöchentlich einen Vegitag!

Wenn wir heute Futtermittel importieren, um hier Überschüsse zu produzieren, die nicht nur den Milchpreis in den Keller sinken lassen, sondern auch wieder in Form von Milchpulver und Butterbergen zu Dumpingpreisen exportiert werden und gewachsene Selbstversorgungsstrukturen anderer Länder kaputt machen… dann geht etwas gewaltig schief. Und unser Fleischkonsum wird nur dann durch die inländische Produktion gedeckt, wenn man die Herkunft der Futtermittel ausser acht lässt.

Gefordert ist hier nicht nur die Politik. Einfluss haben auch Sie als Konsumentin oder Konsument. Es ist ganz einfach. Kaufen Sie lokale und saisonale Produkte. Geniessen sie mindestens einmal in der Woche fleischlose Rezepte. Und kaufen Sie frisch ein. Erfahrungsgemäss sinkt so auch der Anteil jener Lebensmitteln, welche gar nicht erst auf dem Tisch landen, sondern direkt in den Abfall wandern (Stichwort «Food Waste»).

(Dies ist eine leicht überarbeitete Version der Carte Blanche auf dem Politblog von newsnetz auf deutsch und auf französisch)

Quelle: Friends of the Earth Europe, Africa: up for grabs