Fortschritt auch für Betroffene?Lesedauer ca. 4 Minuten

Der Cybathlon (hier das LiveStreaming) zeigt heute eindrücklich welche technologischen Fortschritte im Bereich der Prothesen möglich sind. Leider verhindern die Rechtsgrundlagen von IV und SUVA aber, dass diese Fortschritte den Betroffenen zugute kommen. Dagegen kämpfen nun Politikerinnen und Politiker von links bis rechts.

Für Prothesetragende, die auf Versicherungsleistungen der SUVA und der IV angewiesen sind, hat sich die Situation in den letzten Jahren verschlechtert. Einerseits wurden die Rechtsgrundlagen zu Ungunsten der Betroffenen verändert. Andererseits werden sie auch immer restriktiver interpretiert.

Gleichzeitig beteiligt sich die Eidgenossenschaft an der Finanzierung der polytechnischen Schulen, die auf dem Gebiet neuer Apparaturen, zum Beispiel „Prothesen von morgen“ forschen. In der letzten Session haben nun über die Hälfte aller Nationalrätinnen und Nationalräte zwei gleichlautende Motionen von Roger Golay (MCG) und Balthasar Glättli (GRÜNE) unterzeichnet, welche fordern, dass mehr für die Autonomie und die soziale Integration behinderter Personen getan wird. Golay und Glättli engagieren sich ehrenamtlich als Ko-Präsidenten der Organisation promembro.ch. Promembro hat aufgezeigt, wie sich die Situation für Prothesentragende in den letzten Jahren verschlechtert hat.

Motion 16.3880

» Eingereichter Text und Begründung im Curia Vista

30.09.2016 – Einreichung
02.12.2016 – Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.

Eingereichter Text

Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament einen Entwurf zu Gesetzesänderungen im Bereich der Sozialversicherungen (IV, EL, BVG, UVG, KVG usw.) vorzulegen, die zum Zweck haben, dass die Sozialversicherungen die Kosten für optimale Hilfsmittel für Personen mit einer Behinderung übernehmen.

Begründung

Unser Land ist gegenwärtig kein Vorbild in Bezug auf die Hilfe, die die Schweiz ihren Bürgerinnen und Bürgern mit einer Behinderung gewährt. Die Sozialversicherungen übernehmen nämlich nur die Kosten von Hilfsmitteln, die einfach, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Für ein „optimales“ Hilfsmittel dagegen müssen Patientinnen und Patienten selber aufkommen. Dies führt zu einer massiven Verschlechterung der Lebensqualität einer beträchtlichen Anzahl behinderter Personen, die nicht über die finanziellen Ressourcen verfügen, um den Kostenunterschied bezahlen zu können. Die besagten Versicherungen berücksichtigen bei der Prüfung der Kostenübernahme und bei der Berechnung der Rückerstattung die technischen und ästhetischen Weiterentwicklungen von Hilfsmitteln nicht. Dass im Jahr 2014 in der Schweiz den Personen, die in ihrem Alltag durch eine Behinderung deutlich eingeschränkt sind, eine Verbesserung ihrer Lebensqualität einzig aus finanziellen Motiven verweigert wird, ist stossend. Ebenso stossend ist, dass Kinder und Erwachsene in vergleichbaren Situationen je nach ihren finanziellen Möglichkeiten ungleich behandelt werden. Es ist offensichtlich, dass eine behinderte Person, die von optimalen Hilfsmitteln profitiert, eine bedeutend grössere Autonomie geniesst und auch bedeutend besser in das soziale Leben integriert ist.

Darum drängt es sich auf, sich gegenüber den betroffenen Personen auf die Grundlagen einer sozialen und solidarischen Haltung zurückzubesinnen. Wenn es um die Autonomie und die soziale Integration einer Person mit einer Behinderung geht, muss die Situation der Betroffenen ebenso wie die ihres Umfeldes berücksichtigt werden.

Wir haben die Pflicht, einer Person möglichst das zurückzugeben, was sie verloren hat. Deshalb soll der Bundesrat dem Nationalrat einen Entwurf zu Gesetzesänderungen bei den Sozialversicherungen unterbreiten, die zum Zweck haben, dass die Sozialversicherungen die Kosten für optimale Hilfsmittel übernehmen, die den körperlichen Fähigkeiten und dem sozialen und beruflichen Umfeld einer Person mit einer Behinderung entsprechen.

Stellungnahme des Bundesrates

Ein zentraler Grundsatz der Sozialversicherungen ist, dass die Leistungen nach den Gesichtspunkten der Einfachheit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit ausgerichtet werden. Eine Abkehr von diesem Grundsatz würde einem Paradigmenwechsel gleichkommen. Die Berücksichtigung von ästhetischen Kriterien oder des Kriteriums „Optimalität“ eines Hilfsmittels würde dazu führen, subjektive Kriterien zu berücksichtigen. Dies würde zum einen dazu führen, dass unter Umständen ein der Eingliederung nicht bestmöglich dienendes Hilfsmittel abgegeben würde (weil z. B. ein Versicherter mehr Wert auf Ästhetik als auf Funktionalität legt), zum andern, dass jegliche Mehrkosten von der Versicherung übernommen werden müssten, ohne dass diese zu diesem Zeitpunkt beziffert werden können. Zudem würde sich dadurch nicht zwingend die Lebensqualität der versicherten Person verbessern. Dies kann nicht im Sinne der versicherten Personen sein und entspricht nicht dem von der Motion verfolgten Ziel. Auch für die Versicherung wäre eine solche Änderung nicht zweckmässig.

Der Bundesrat hat im Übrigen dazu Sorge zu tragen, dass sowohl die Leistungsbezüger als solche untereinander rechtsgleich behandelt werden als auch die Solidarität der Gesamtheit der versicherten Personen nicht überbeansprucht wird. Mit dem Einbezug von subjektiven Kriterien wäre dies nicht mehr gewährleistet. Es stellt sich zudem die Frage, wie sich ein Verzicht auf diese Kriterien zur Hilfsmittelabgabe gegenüber den anderen Versicherten rechtfertigen liesse, gälte doch für andere Leistungsarten die Prämisse „einfach, zweckmässig, wirtschaftlich“ nach wie vor.

Es muss aber explizit festgehalten werden, dass auch unter den geltenden Kriterien dem technischen Fortschritt Rechnung getragen wird und ständig neue und weiterentwickelte Hilfsmittel von den Sozialversicherungen finanziert werden.