Für Gerhard Pfister zeigt Trumps Wahlsieg vor allem die Schwäche der Kandidatur Clinton. Balthasar Glättli sieht im Resultat das Ende der Freihandelsideologie.
Balthasar Glättli: Geschätzter Kollege! Die meisten Umfragen hatten ein anderes Resultat vorausgesagt. Aber Donald Trump wurde klar zum US-Präsidenten gewählt, auch wenn er das Volksmehr verfehlte. Verstehen Sie, wie jemand, der sich mit seinen Milliarden brüstet und die Clintons zu seiner Hochzeit eingeladen hatte, als «Kämpfer gegen die Eliten» Erfolg haben konnte?
Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, ich stelle fest, dass ein schlecht erzogener Milliardär, der seine rüpelhaften Manieren offen zur Schau stellte und sich einen Wahlkampf der Beleidigungen leistete, amerikanischer Präsident wird. Das sagt wohl etwas über Amerika, die Prognostiker und Clinton aus. Ich stelle weiterhin fest, dass die Medien, die vorher genau wussten, dass Clinton gewählt werde, jetzt ebenso genau wissen, wie Trump regieren wird. Ich hörte im Vorfeld immer wieder: «Trump is bad, Clinton is worse». Clinton unterlag schon vor acht Jahren in den Vorwahlen gegen Barack Obama. Die Demokraten haben es verpasst, eine Kandidatur aufzubauen, die nicht so direkt für das Washingtoner Establishment stand. Trump gab dem Mittelstand eine Stimme, der in den USA erodiert.
Balthasar Glättli: In den Nachwahlbefragungen hat sich gezeigt, dass die Stimmberechtigten mit einem Jahreseinkommen unter 50 000 Dollar mehrheitlich Clinton wählten, die wohlhabenderen Trump. Die Aussage, dass die schlecht verdienenden weissen Arbeiter Trump wählten, ist zumindest mit Vorsicht zu geniessen. Vermutlich waren es also nicht die tatsächliche Not, sondern Abstiegsängste, die das Terrain für Trump bereiteten. Dass allerdings ein Milliardär, der nicht nur seine Angestellten und Auftragnehmer immer wieder um einen Teil ihrer Entschädigung prellte, sondern sich auch durch die Banken aus den Konkursen retten liess, hier so viel Vertrauen genoss, kann ich weiterhin nicht nachvollziehen.
Gerhard Pfister: Wenn das die gleichen Umfragespezialisten sind, die sich gerade eben so verhauen haben, würde ich nicht zu sehr drauf setzen. Die USA sind ein gespaltenes und zerrissenes Land, dessen Bevölkerung tief verunsichert ist. Schon die Regierung Obama bekam das zu spüren, und war innen- wie aussenpolitisch eher mit Rückzugsgefechten beschäftigt. Die isolationistischen und protektionistischen Erklärungen von Clinton wie Trump waren sich erstaunlich ähnlich. Es stellt sich jetzt die Frage, wie viel davon Trump wirklich umsetzen kann und will. Ich vermute, dass auch der Kongress ein Gegengewicht bilden wird, auch wenn die Mehrheiten republikanisch sind. Die Nato beispielsweise würde durch einen Rückzug der USA kaum mehr in der Lage sein, die Sicherheit des atlantischen Raums zu gewährleisten. Über diese Tatsache können auch die öffentlichen Sympathiebekundungen des russischen Präsidenten Putin für Trump nicht hinwegtäuschen. Der freie Handel wird ebenfalls nicht derart eingeschränkt werden können, wie Trump das im Wahlkampf zu beabsichtigen schien.
Balthasar Glättli: Sie müssen schlicht zur Kenntnis nehmen, dass die neoliberale Freihandelsideologie heute nicht mehr mehrheitsfähig ist. Die Frage ist, ob sie durch einen rückwärtsgewandten nationalistischen Isolationismus abgelöst wird oder durch einen faireren Welthandel, wie ihn zum Beispiel die Grünen fordern. Aber zurück zu den USA: Spannend ist ja, dass man Clinton vorgeworfen hat, dass sie sich auch selbstkritisch von der früheren Freihandelsbegeisterung distanziert hatte – an Trump dagegen perlten seine Meinungswechsel in vielen wesentlichen Positionen ab. Und das ist nur der Anfang: Faktenprüfer ermittelten ja, dass Trumps Aussagen zu 70 bis 80 Prozent schlicht falsch waren. Für mich als Politiker, der sich doch auch ein wenig den Werten der Aufklärung verpflichtet fühlt, ist diese postfaktische Ära der Politik ein ganz grundlegendes Problem! Für Sie auch?
Gerhard Pfister: Ich wäre schon froh, wenn Sie nicht immer «freiheitlich» mit «neoliberal» gleichsetzen würden, auch wenn Sie damit immer schön etatistisch ideologisch unterwegs sein mögen. Clintons Opportunismus war eine ihrer vielen Schwächen. Wer nicht einmal gegen einen Rüpel wie Trump gewinnen kann, muss selbst ein grosses Glaubwürdigkeitsproblem haben. Der neumodischen Rede vom «Postfaktischen» kann ich wenig abgewinnen. Denn oft wird als Faktum behauptet, was bereits politische Interpretation ist. Das heisst nicht, dass ich Trump besondere Wahrheitstreue nachsagen möchte. Von Trump habe ich kaum programmatische Aussagen vernommen, ausser dass er Amerika wieder gross machen wolle, Frustrationen verstärkte, statt darauf zu antworten – und dass er sein Ego ausstellte.
Balthasar Glättli: Ihren Schlussbemerkungen kann ich zustimmen – sofern wir rassistische Aufhetzungen und Erklärungen zum Mauerbau nicht als programmatische Aussagen werten… Den ganzen Rest muss ich zurückweisen. Ich erachte es als reales Problem für jede Demokratie, wenn offensichtliche Lügen mit einem Schulterzucken weggesteckt werden und stattdessen die nervöse Like-Kultur in den Social Media bestimmt, welches Märchen gerade als wahr gilt.
Gerhard Pfister: Bei «offensichtlichen Lügen» stimme ich Ihnen zu. Wenn aber auch das «postfaktisch» genannt wird, was einem nicht in die Ideologie passt, wird dieser Modejargon für mich dubios. Die Like-Kultur der Social Media taugt nicht als Grundlage für Politik, auch da haben wir Konsens.
© NZZ am Sonntag; «Die Like-Kultur der Social Media taugt nicht als Grundlage für Politik»; 13.11.2016; Ausgaben-Nr. 46; Seite 20