Es gibt kaum Argumente, die gegen die erleichterte Einbürgerung der Ausländer der dritten Generation sprechen. Beide sind für die Einbürgerung der dritten Generation: Balthasar Glättli würde einen Schritt weiter gehen – davon hält Gerhard Pfister nichts.
Balthasar Glättli: Geschätzter Kollege, neben der umstrittenen Unternehmenssteuerreform und dem Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds geht es in fünf Wochen auch um die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation, die wir beide unterstützen. Ist die Ruhe um diese Abstimmung gut, weil selbst die SVP keine Kampagne wagt? Oder ist sie trügerisch?
Gerhard Pfister: Das zeigt, dass das Gejammer über zu viele Initiativen oder Referenden falsch ist. Die Parteien und Organisationen müssen sich beschränken. Daher verfügt wohl auch bei dieser Vorlage weder das Pro- noch das Contra-Lager über viel Geld für eine Kampagne. Das ist nicht weiter schlimm, im Gegenteil. Vielleicht haben dann Sach­lichkeit und Argumente eine grössere Chance.
Balthasar Glättli: Natürlich hoffe ich das auch. Denn nüchtern betrachtet gibt es kaum Argumente gegen eine erleichterte – aber nicht automatische! – Einbürgerung der Enkel jener Grosseltern, die in den sechziger Jahren hierher kamen. Allerdings spielt die SVP nun die Islamismus-Karte. So schrieb Lukas Reimann, ein Hauptgrund für die Radi­kalisierung junger Ausländer bestehe im Druck, sich an ihrem Wohnort assi­mi­lieren zu müssen. Dieser Druck steige bei einer erleichterten Einbürgerung noch, womit wiederum die Gefahr der Radikalisierung zunehme. Verquerer geht’s nimmer. Aber bereits die letzte Einbürgerungsvorlage für die dritte Generation wurde mit Pseudo-Statistiken gewonnen, welche zeigten, dass in wenigen Jahren angeblich 120 Prozent der Bewohner der Schweiz Muslime seien. Online kann heute solcher Unsinn auch gratis verbreitet werden.
Gerhard Pfister: Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Bevölkerung pragmatischer geworden ist, und das Argument von Reimann zeigt, dass man etwas verzweifelt sein muss, wenn man solche Begründungen an den Haaren herbeizieht. In der CVP haben die Ständeräte die Vorlage teilweise abgelehnt, aus föderalistischen Gründen. Dieses Argument hielte ich – wenn schon – für das inhaltlich richtige. Aber mir war wichtig, dass die erleichterte Einbürgerung eine Verfassungsänderung bedingt, so dass das Volk darüber entscheiden muss. Für mich ist es ein vorsichtiges Ja, ich verspreche mir davon bezüglich der verbesserten Integration nicht so viel. Aber ich sehe auch keine gravierenden Nachteile.
Balthasar Glättli: Ich habe diese Vorlage, die ja unterdessen fast ein Jahrzehnt auf dem Buckel hat, im Rat mit ironischem Bezug auf Max Weber als unheimlich langsames Bohren eines dünnen Sperrholzbrettchens bezeichnet. Vielleicht ist es auch gut, dass eine solche Vorlage nun den Segen der Stimmberechtigten erhält. Allerdings erlebe ich auf der Strasse oder in E-Mails von Bürgerinnen und Bürgern immer wieder Unverständnis, worüber man abstimmt – und worüber umgekehrt nicht. Ehrlich gesagt scheint mir hier das Unverständnis weit grösser zu sein als bei der sogenannten Initiativflut, die Sie ansprachen.
Gerhard Pfister: Das sehe ich – vermutlich meiner Innerschweizer Herkunft geschuldet – anders. Einbürgerungen sind in der direkten Demokratie mehr als nur Aufenthaltsregelungen. Sie geben weitgehende Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte. Deshalb rechtfertigt sich für mich eine Verfassungsbestimmung in jedem Fall. Auch wenn wenig öffentlich darüber debattiert wird, hat die Vorlage durchaus Aspekte, die man emotionalisieren kann, wie Lukas Reimann beweist. Alles in allem vertraue ich auf die Fähigkeit des Volks zur nüchternen Abwägung.
Balthasar Glättli: Spannender als die Einbürgerungsdebatte fände ich eigentlich eine ganz andere Frage: Wie stellen wir sicher, dass unsere Demokratie nicht in ihren Grundfesten ausgehöhlt wird? Ich meine damit die Tatsache, dass eine Million Ausländer der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung seit über zehn Jahren in der Schweiz leben, mehr als die Hälfte davon sogar seit über zwanzig Jahren – und dennoch können sie in den meisten Kantonen nicht einmal kommunale und kantonale Fragen demokratisch mitbestimmen. Hier wird die Demokratie, verstanden als Mitsprache­recht aller von Entscheiden Betroffenen, doch arg beschnitten.
Gerhard Pfister: Einspruch! Wer länger bei uns lebt, dem ist es unbenommen, sich einbürgern zu lassen. Es hat offensichtlich Gründe, warum das die Million Ausländer nicht tun will. Das ist für mich absolut in Ordnung. Zudem würde ich die Betroffenheit schon etwas relativieren. Man stimmt einer Steuererhöhung wohl etwas leichter zu, wenn man weiss, dass man im nächsten Jahr nicht mehr in der Schweiz leben wird. Die Schweiz bietet mehr demokratische Mitwirkungsrechte als jedes andere Land. Da halte ich es für absolut richtig, diese Rechte auch mit gewissen Einbürgerungs­kriterien zu verbinden, die höher sein dürfen als in anderen Ländern.
Balthasar Glättli: Ihre Antwort, wer mitbestimmen wolle, solle sich einfach einbürgern lassen, ist nur schon deshalb falsch, weil ja die Einbürgerungsvoraussetzungen ständig verschärft werden. Zudem dürfen Senioren über eine AHV- oder Rentenreform abstimmen, auch wenn es sie nicht mehr direkt betrifft. Wollen Sie das nach Ihrer Logik auch verhindern und dafür Kindern das Stimmrecht geben?
Gerhard Pfister: Das eine hat mit dem anderen für mich nichts zu tun. Ich bleibe dabei, die Einbürgerungsvoraussetzungen sind in der Schweiz zu Recht hoch. Gerade deshalb kann ich die erleichterte Einbürgerung für die dritte Generation auch unterstützen.
© NZZ am Sonntag; «Die Demokratie wird ausgehöhlt.»; 08.01.2017; Ausgabe-Nr. 52