Wie gibt es mehr Bundesrätinnen? Mit Strategie, sagt Gerhard Pfister. Mit Quote, findet Balthasar Glättli… oder zumindest mit einer Verfassungsänderung, welche festlegt, dass nicht nur (wie heute schon) die Sprachregionen beachtet werden müssen, sondern auch die Geschlechterverteilung. Die E-Mail-Debatte.
Gerhard Pfister
Geschätzter Kollege, nach der Wahl von Ignazio Cassis wird die Frage der Frauenvertretung im Bundesrat diskutiert. Man vermutet, dass Simonetta Sommaruga bald die einzige Frau im Bundesrat sei. Es wird verlangt, eine Frauenquote auch im Bundesrat einzuführen. Persönlich kann ich dem nicht viel abgewinnen. Denn es überdeckt das eigentliche Problem: dass die meisten Frauenkandidaturen strategisch schlechter vorbereitet werden als die der Männer.
Balthasar Glättli
Klar ist: Man merkt, ob eine Partei eine Frau haben will oder nicht. Der erste Rückenschuss für mögliche FDP-Kandidatinnen kam bezeichnenderweise von den FDP-Frauen selbst. Deren Präsidentin Doris Fiala hielt gegenüber SRF am Tag nach Burkhalters Rücktritt offen, ob aus «strategischem Geschick» nicht zuerst eine Tessiner Kandidatur nominiert werden müsse.
Gerhard Pfister
Diese Aussage war strategisch so ziemlich das Ungeschickteste, was man tun kann. Wenn man als Frauenpräsidentin so etwas sagt, macht man eine Frauenkandidatur schon von Anfang an zum schweren Gang bergauf. Vor allem, wenn die Konkurrenz ein so gewichtiges Interesse wie das der italienischsprachigen Schweiz ist.
Ich finde aber vor allem das nachträgliche Jammern der SP-Frauen merkwürdig, wonach die FDP versagt habe. Die SP hätte – wenn ihr die Frauenfrage wirklich ernst gewesen wäre – alles auf Isabelle Moret setzen können. Man sieht, dass selbst bei den Frauen nicht nur Geschlechterfrage und -solidarität zählen. Sondern auch Ideologie, Kompetenz, Region. Das ist auch nicht weiter schlimm.
Balthasar Glättli
Die SP-Spitze forderte zwar ein Doppelticket mit Frauen. Tatsächlich setzte sie dann aber – im Gegensatz zu den Grünen – auf Maudet. Diese Strategie ging dreifach nicht auf: Erstens ist Cassis nicht geeignet als Schreckgespenst, um eine «Alles ausser Cassis»-Bewegung zu starten. Zweitens konnte sich die Spitze auch intern nur teilweise durchsetzen. Die Frauen begehren nun auch öffentlich auf. Und drittens hätte bei einer Strategie «Moret gegen Cassis» Isabelle Moret mit der SP im ersten Wahlgang sogar mehr Stimmen gemacht als nun Maudet. Erfolgreiche Schachzüge sehen anders aus…
Gerhard Pfister
Genau. Ich habe die CVP-Frauen schon lange gebeten, mit der Arbeit zu beginnen, schon im Januar. Die Nachfolge von Doris Leuthard steht spätestens Ende 2019 an, und es braucht dafür Aufbauarbeit und die Erarbeitung einer erfolgreichen Strategie. Die Frauen werden das auch tun. Die CVP hat bei den letzten zwei Wahlen für ihre Sitze immer gesichert, dass eine Frau gewählt wird. Mit einer Doppelnominierung (Metzler/Roos) für Arnold Koller sowie mit der Nominierung von Doris Leuthard als einziger Kandidatin für die Nachfolge von Joseph Deiss.
Würden Bundesräte ihre Rücktritte auch nur minimal absprechen, wäre ein auch geschlechtermässig ausgewogener Bundesrat leichter möglich. Dass unsere Landesregierung nicht in der Lage ist, etwas zu tun, was in jedem Verwaltungsrat Standard ist, finde ich noch antiquierter als die Tatsache, dass es Frauen immer noch schwerer haben, Bundesrätin zu werden. Es ist keine Frage der Quote, sondern des politischen Willens.
Balthasar Glättli
Ja, und der Selbstverantwortung. Wenn Männer nicht manchmal auch Platz machen, dann geht nichts. So hätte ich sehr gern für den zweiten grünen Stadtratssitz in Zürich kandidiert. Aber da wir mit der Fraktionspräsidentin Karin Rykart eine überzeugende Kandidatin und mit Daniel Leupi bereits einen guten Stadtrat haben, zog ich mich aus dem Rennen zurück.
Ihre Koordinationsforderung in Ehren: Mich stört noch mehr die Unsitte, dass Bundesräte immer häufiger im Laufe der Legislatur zurücktreten. Damit verkommen die Wahlen zur Wahlkampfveranstaltung. Und die Bundesversammlung verliert die Möglichkeit, auf geänderte politische Stärken nach den Wahlen zu reagieren.
Gerhard Pfister
Träten alle Bundesräte jeweils nur am Ende der Legislatur zurück, täte dies der Kontinuität Abbruch. Am Recht jedes Regierungsmitglieds, seinen Rücktritt selbst zu bestimmen, mag ich nicht rütteln. Aber an seine Pflicht möchte ich mahnen, an die Bundesversammlung zu denken, die ja jemanden auch zum Bundesrat machte. Dass Didier Burkhalter so spontan und isoliert entschied, mag mit persönlichen Gründen zu tun gehabt haben. Aber dass in der Regierung kein vertrauensvolles Verhältnis herrscht, um so etwas zu besprechen, ohne dass es nach aussen dringt, habe ich schon öfter kritisiert.
Bei der Frauenfrage gilt manchmal auch das, was generell bei Bundesratswahlen gilt: Es wird viel vertuscht, gelogen und nachträglich anders kommentiert, als man es vorher entschied. Abschliessend: Forderungen nach einer Frauenquote halte ich für eine paternalistische Haltung, die impliziert, man dürfe bei Frauen die Frage nach der Fähigkeit nicht so genau stellen. Das schadet der – wichtigen – Frauensache mehr als es nützt.
Balthasar Glättli
Da bin ich ganz anderer Meinung! Aber selbst wenn man keine Quoten fordert, braucht es eine Änderung: Der Artikel 175 der Bundesverfassung verlangt heute keine Quoten. Aber er fordert eine angemessene Vertretung der Landesgegenden und der Sprachregionen im Bundesrat. Was fehlt ist die Forderung nach einer angemessenen Vertretung der Geschlechter.
Maya Graf will dies mit einem Vorstoss korrigieren. Das muss auch Ihre Zustimmung finden. Wer nicht bereit ist, unserem Parlament den Auftrag zu geben, die Geschlechtergerechtigkeit ebenso zu gewichten wie die Sprachregionen, dem ist die Gleichstellung tatsächlich egal.
© NZZ am Sonntag; «Ich habe die CVP-Frauen schon lange gebeten, mit der Arbeit zu beginnen»; 23.09.2017