Was verbindet Schwarz und Grün in der Schweiz? Balthasar Glättli erinnert an die kirchliche Ökologiebewegung. Aber Gerhard Pfister warnt vor Frömmelei. Die E-Mail-Debatte.
Balthasar Glättli
Geschätzter Kollege, blicken wir für einmal nach Deutschland. Jamaika, schwarz-gelb-grün, das wird nach der Absage der SPD an eine grosse Koalition die einzig mehrheitsfähige Koalition sein. Ein Albtraum für Sie, wenn Sie an Baden-Württemberg denken? Oder eher ein Albtraum für mich: weil Merkel die Grünen zu Tode umarmt?
Gerhard Pfister
Merkel zahlt den Preis für ihre verfehlte Migrationspolitik. Die CDU zahlt den Preis, dass sie die Sozialdemokratisierung durch ihre Kanzlerin zuliess. Das Beispiel der Grünen zeigt, dass die Hoffnung der SPD, in der Opposition zu erstarken, übertrieben ist. Baden-Württemberg, wo die Grünen die Schwarzen dominieren, ist eine Ausnahme – mit Herrn Kretschmann, der den meisten Grünen zu wenig links ist. Dennoch: Eine Koalition von CDU, FDP und Grünen ist besser als eine grosse Koalition. Deutschlands Grüne sind nicht so links wie hierzulande.
Balthasar Glättli
Klar, die deutschen Grünen sind (wie die SPD) in vielen Bundesländern stärker eingemittet als ihre Schweizer Pendants. Aber der Mittekurs hat gerade der SPD nichts genutzt, vielleicht gar im Gegenteil. Die glaubwürdigere Mitte war wenn schon Merkel. Und neben Schulz hat auch nicht in erster Linie Merkel die Wahlen verloren, sondern Seehofer. Der CSU-Versuch, die AfD rechts an die Wand zu fahren, ist schmählich gescheitert.
Gerhard Pfister
Völlig falsch. Merkels Kurs führte erst zu einer Option für die AfD, eine Partei rechts der CDU/CSU stark werden zu lassen. Seehofer hätte viel stärker korrigieren müssen. Merkel hat die Konservativen in der CDU marginalisiert. Das rächt sich jetzt. Genau so wie die von Merkel umarmte SPD die Linkspartei erst stark werden liess. Grundsätzlich sehe ich aber mehr Chancen für die neue Konstellation. Sie zwingt die drei Parteien, ihr Profil stärker einzubringen und auch zu schärfen. Mit den Liberalen hat die CDU bei Wirtschaftsthemen einen besseren Partner als die SPD, mit den Grünen eventuell mehr Gemeinsamkeiten, als man jetzt noch meint. Umweltthemen können auch unter einer konservativen Politik der Bewahrung der Schöpfung aufgegriffen werden.
Balthasar Glättli
Tatsächlich. Leider merkt man ja heute wenig vom offenen kirchlichen Aufbruch, der 1989 in Basel zur ersten europäischen ökumenischen Versammlung führte unter dem Titel «Gerechtigkeit, Friede, Bewahrung der Schöpfung», kurz GFS. Das hat mich damals stark beeinflusst – und später wohl mit zu meinem Beitritt zu den Grünen beigetragen. Vor diesem Hintergrund könnte Schwarz-Grün durchaus zusammenpassen, und zwar nicht nur «ökokonservativ», sondern auch sozial- und klimapolitisch engagiert. Allerdings drängen nun die Kräfte in der CDU eher nach rechts, von der CSU ganz zu schweigen. Was heisst das für uns in der Schweiz? In der Pfister-CVP ist eher Seehofers Kurs prägend, oder nicht?
Gerhard Pfister
Die sozial-konservative Ausrichtung der CVP ist nicht meine Idee, sondern das Ergebnis einer breiten innerparteilichen Diskussion. Sie sollten sich auch vom Feindbild CSU lösen. Bayern steht wirtschaftlich und ökologisch besser da als manches grün mitregierte Bundesland. Konservativ ist gerade, wenn man die Umwelt bewahren will. Das geht am nachhaltigsten nicht gegen, sondern nur mit der Wirtschaft. Tragen die deutschen Grünen das mit, könnten sich überraschende Lösungen für die Umwelt ergeben.
Balthasar Glättli
Ein wirklicher ökologischer Umbau geht nicht einfach mit der Wirtschaft – sondern durch ein anderes Wirtschaften. Das ist ja die falsche Banalisierung des Nachhaltigkeitsbegriffs, die unterdessen sogar von Grünen nachgebetet wird – ich kriege jedes Mal Krämpfe: Dass Nachhaltigkeit sei, sowohl Umwelt, Gesellschaft als auch Wirtschaft zu beachten und ins Gleichgewicht zu bringen.
Das ursprüngliche Konzept war viel herausfordernder: Dass nämlich eine zukunftsfähige Entwicklung nur möglich ist, wenn in allen drei Bereichen die Zukunft mitgedacht wird. Das formulierten 1989 auch die Kirchen im Basler GFS-Dokument erstaunlich selbstkritisch. Wenn die CDU und die Grünen in Deutschland sich ernsthaft auf schwarz-grün einlassen wollen, müssen sie allen, auch sich selbst, diesen Spiegel (selbst)kritisch vorhalten. Mehr «Laudato Si’» statt AfD-Anbiederung. Bestehen die Grünen nicht darauf, enden sie wie die SPD. Bloss dass sie dann nach einem Verlust von fünf Prozentpunkten, wie ihn die Sozis einfingen, schlicht aus dem Parlament fliegen würden…
Gerhard Pfister
Sie sind ja noch klerikaler als ich! Passen Sie auf, dass Ihre politische Frommheit nicht in Frömmlerei umschlägt. Es geht darum, wie in Deutschland regiert werden soll. Wenn die Grünen da mitmachen wollen – und sie sollten es! -, dann geht das nur mit Konzessionen an Konservative und Liberale. Ich bin überzeugt, dass Jamaika mehr Chancen bietet als Risiken. Dreierkoalitionen könnten künftig in Deutschland die Regel werden. Deutschland würde etwas schweizerischer, indem nicht mehr starre, grosse Blöcke, sondern wechselnde Mehrheiten üblich werden.
Ich bin allerdings überzeugt, dass Angela Merkel dafür nicht mehr die richtige Kanzlerin sein wird. Sie wird jetzt noch eine neue Koalition bewerkstelligen, aber dann muss sie in der CDU endlich die Nachfolge vorbereiten. Blosse Machterhaltungspolitik wird die Partei massiv schwächen. Es ist eine Frage der Zeit, bis in der CDU die Herausforderer Merkels aufstehen werden. Der Niedergang der SPD ist für manche Christdemokraten ein abschreckendes Beispiel, dass sie zu verhindern wissen werden. Selbst wenn der Preis dafür eine schwarz-grüne Allianz ist.
© NZZ am Sonntag; «In der Pfister-CVP ist eher Seehofers Kurs prägend, oder nicht?»; 08.10.2017