Nein zum Schengen Entry-Exit SystemLesedauer ca. 4 Minuten

Als Antragssteller und Vertreter der GRÜNEN votierte ich gegen den Beitritt der Schweiz zum Schengen Entry-Exit-System. Hier meine Sprechnotizen für die Intervention vom 6. Juni 2019 im Nationalrat.

Für uns GRÜNE ist europäische Zusammenarbeit wichtig – auch innerhalb der Partei. In der Vorbereitung des vorliegenden Geschäfts habe ich deshalb die Stellungnahmen der GRÜNEN im EU-Parlament genau angeschaut. Ihre Stellungnahmen waren sehr klar. Der GRÜNE Europaparlamentarier Jan Philipp Albrecht, damals stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses, hat das Ein- und Ausreisesystem scharf kritisiert.

Ich kann mich den Worten anschliessen, die der GRÜNE Jan Philipp Albrecht im Februar 2017 äusserte:

«Das vorliegende Ein- und Ausreisesystem ist unverhältnismäßig, wirkungslos und teuer. Wenn es nach Konservativen und Sozialdemokraten geht, dann stehen Touristen und Geschäftsleute zukünftig unter Generalverdacht. Die anlasslose Erfassung aller Fingerabdrücke und Gesichts-Scans bringt nicht mehr, als Futter für die Statistik und ist ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre von Millionen unbescholtener Reisender. Deren Daten werden bereits heute mit dem Schengener Informationssystem abgeglichen, aber eben nicht auf Dauer gespeichert. Einziger Mehrwert: Polizei und Sicherheitsbehörden werden nun eher erfahren, wer sich nach Ablauf seines Visums in der Europäischen Union aufhält – aber nicht, wo und warum. Die eine Milliarde Euro, die geschätzt für das neue System nötig ist, wäre bei Investitionen in Ausstattung und EU-weite Kooperation von Polizei und Sicherheitsbehörden besser aufgehoben, um den vorhandenen Informationen über Verdächtige und Risikopersonen nachzugehen.»

Verschiedene Studien und Rechtsauskünfte stützen die kritische Haltung der GRÜNEN:

1.    Der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments selbst kritisiert die Dauer der Datenspeicherung und die Möglichkeit des Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden in einem Gutachten als unverhältnismäßig.

2. Eine Studie im Auftrag der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung[1] kommt zum Schluss, dass die Notwendigkeit, jährlich Fingerabdrücke und Fotos von 100 Millionen Drittstaatlern zu erheben nicht hinreichend durch die Kommission belegt ist.

3. Ein aktueller Avis de droit im Auftrag der Fraktion der europäischen GRÜNEN untersucht zudem, ob das geplante System kompatibel ist mit dem EuGH. Der Europäische Gerichtshof, der EuGH, hat sich nämlich im Zusammenhang mit der Sammlung und Speicherung von Flugpassagierdaten geäussert. Die kritische nPositionen des EuGH in seiner Opinion 1/15 zum Entwurf des Abkommens zwischen der EU und Kanada über eine Passagiernamen-Datenbank betreffen direkt auch das Schengen Entry/Exit System.

Kurz zusammengefasst : Hier geht es nicht etwa, wie uns die Befürworter*innen glauben machen wollen, um eine teure aber halt notwendige und sinnvolle Investition in den Kampf gegen den Terrorismus, nein, hier geht es darum, dass jährlich von 100 Millionen unbescholtenen Touristen und Geschäftsleuten aus Drittstaaten ohne Verdacht biometrische Daten erhoben und gespeichert werden, und zwar weit über das Datum des ursprünglichen Zwecks hinaus – nämlich zu erfassen, wer über die Dauer seines Visums hinaus in der EU geblieben ist.

Wer mir nun vorwerfen möchte, dass ich verharmlose, dass Massenüberwachung halt notwendig sei, auch ohne Anfangsverdacht, dem muss ich sagen: NEIN. Die Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache. Der deutsche Journalist Sascha Lobo arbeitet sie ja immer auf, und sein Fazit vom Herbst 2018 spricht für sich: Von den 22 islamistischen Mordanschlägen in der EU seit 2014 sind alle 22 von mindestens einem polizeibekannten, gewaltaffinen Täter ausgeführt worden. Alle, also 100 Prozent.

Wäre es da nicht vielleicht klug, nicht eine Milliarde Euro zu investieren in eine gigantische neue Datenbank, die nur dazu beiträgt, dass man vor lauter Heu die Nadel im Heuhaufen noch schlechter findet

Wäre es da nicht vielleicht klug, nicht eine Milliarde Euro zu investieren mit dem zweifelhaften Nutzen, allenfalls ein paar Leute mehr erfassen und bestrafen zu können, die erst nach Ablauf ihres Schengen-Visums aus dem Schengen-Raum ausreisen, und dem Schaden, dass alle Reisenden aus Drittstaaten generalverdächtigt werden.

Wäre es da nicht vielleicht klüger, sich zu überlegen, wie wir auch europaweit die polizeiliche Zusammenarbeit stärken könnten mit dem Ziel, nicht immer mehr, sondern treffendere Informationen und real eine bessere Zusammenarbeit zu erhalten?

Meine Minderheit und mit mir die GRÜNEN bitten Sie mit diesen Überlegungen, nicht auf die vorliegende Vorlage einzutreten.

[1] Ben Hayes, Statewatch und European Centre for Constitutional an European Rights (ECCHR) und Mathias Vermeulen (European University Institute in Florenz)