Ezgi Akyol. Sie hat in ihrem Rücktrittsschreiben ausgesprochen, was sie in sechs Jahren Gemeinderat erlebt hatte. Die Zuschreibungen kritisiert. Dass man ihr – hier aufgewachsen – in den Medien explizit anrechnete, dass sie Züritütsch spreche. Die Angriffe von rechts erwähnt: «Mir gönd mal devo us, dass sie ibürgeret isch». Und brutal konstatiert, welche breite Gegenreaktion der links-grün-liberal-alternativen KollegInnen im Rat sie erlebte: Keine.
Julia Hofstetter. Nachdem die Tochter der grünen Gemeinderätin an der Klimademo in Bern war, machte SVP-Ratskollege Derek Richter eine Gefährdungsmeldung bei der KESB. Versuchte, die staatliche Institution zur Psychiatrisierung von Andersdenkenden zu missbrauchen. Unhaltbar.
Sibel Arslan. Vor laufender Kamera beschimpft und reduziert aufs Nicht-von-hier sein: «Recht und Ordnung – das hat es in deinem Staat nicht gegeben», schleuderte SVP-Glarner ihr entgegen. Um letzte Woche nachzulegen. Und seine ‹Lösung› zu präsentieren: DoppelbürgerInnen sollten nicht mehr ins Parlament wählbar sein.
Drei unterschiedliche Ereignisse. Drei gleiche Fragen: Wer gehört wie zu unserer Gesellschaft? Glarners Ausfälle zumindest führten auch zu Kritik aus den eigenen Reihen. Er kritisiere die falsche Person. Man müsse doch gute Integration belohnen. Diese Kritik ist gut gemeint. Aber sie verfehlt den Punkt. Glarner nervt sich so fest über Arslan nicht trotz der guten Integration. Sondern gerade deswegen. Weil sich die zweimal gewählte Nationalrätin die Frechheit anmasst, hier zu sein, Schweizer Bürgerin zu sein. Weil sie eine Meinung hat, für ihre Anliegen einsteht, in der Politik aktiv ist. Was nicht nur ihn durcheinanderbringt: Es ist eine andere Zeit. Und die bewegt und belebt nicht nur die Strassen. Die Schulen. Die Berufswelt. Sondern auch das Heiligste: das Innere der Ratssäle. Und die sonst so leeren Plätze davor.
* * *
Wenn Christian Geulen in seiner Geschichte des Rassismus schrieb, dass die Vorstellung einer biologischen Rasse heute abgedankt hat, hatte er recht. Der Kern des modernen Rassismus ist viel eher das brutale Gefühl, aus der eigenen Herkunft heraus überlegen zu sein – gepaart mit der Angst vor dem heimlichen Wissen, dass das nicht zwingend so bleibt… weil es die Umstände einer überlieferten ‹göttlichen Ordnung› sind, welche die einen oben, die anderen unten platzieren, die Männer im Zentrum, die anderen am Rand. Ebenso gehört zu diesem modernen Rassismus darum die praktische Bereitschaft, den angeblich natürlichen Zustand der eigenen Überlegenheit wieder herbeizuzwingen, gegen die Zeiten, die im Wandel sind. Die Wut und die Angst gehören zusammen. Man darf sie nicht unterschätzen.
Auf dem Spiel steht viel. Auch für die Linke. Nämlich die Frage, ob wir – auch wir Linke, aber auch wir alle, als Gesellschaft – es schaffen, den Blick statt zurück auf das Trennende nach vorn zu richten, auf das gemeinsam Auszuhandelnde. Auf Zukunft statt Herkunft.
Balthasar Glättli, Präsident GRÜNE
(Dieser Text erschien als GRÜNE Gedanken zur Woche am 9.10.2020 in der Wochenzeitung P.S.)