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Jetzt aussteigen: so geht’s

  • Je länger der Krieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine dauert desto mehr Kriegsverbrechen und Zerstörungen werden offenbar
    Wir dürfen darum nicht länger täglich Millionenbeträge für russische Energieträger an russische Staatsunternehmen wie Gazprom zu überweisen.
  • Wochenlange Boykottdrohungen, ohne dass tatsächlich ein Boykott beschlossen wird, führen zudem zu höheren Öl- und Gaspreisen – und damit zu höheren Einnahmen für die Erdölfirmen und für Putins Armee.
  • Ein sofortiger Ausstieg aus russischem Gas ist auch in der Schweiz nicht ohne begleitende Massnahmen zu schaffen.
  • Aber die Schweiz kann aus russischen Energieträgern aussteigen, wenn wir dies politisch wollen. Und das sollten wir so bald als möglich tun. Hier schreibe ich, wie das geht.

«Unsere Gesellschaft ist durchaus willens und in der Lage, in extrem kurzer Zeit die notwendigen Vorkehrungen zu treffen und zusammenzustehen, um in gemeinschaftlicher Solidarität zu handeln» schreiben Anja Umbach-Daniel und Julia Brandes in einer Studie der Schweizerischen Energiestiftung SES zu den energetischen Effekten der Coronakrise. Niemand wünscht sich Corona zurück! Aber die Pandemie hat gezeigt, dass wir in kurzer Zeit grosse Veränderungen bewältigen können – auch im Bereich Mobilität und Energie: So ist der Treibstoffverbrauch 2020 im Vergleich zum Vorjahr um über 10 Prozent zurückgegangen – dies insbesondere wegen Homeoffice und Flugverzicht. Müssen wir in all diesen Bereichen wieder vollständig zum alten «Courant normal» zurück? Ich meine nein.

EU-Parlament fordert vollständiges russisches Energie-Embargo!

Mit einer Mehrheit des EU-Parlaments fordern die Europäischen Grünen ein «vollständiges Embargo gegen Einfuhren von Öl, Kohle, Kernbrennstoff und Gas aus Russland». Was das EU-Parlament Europa zutraut, sollten wir auch der Schweiz zutrauen – zumal die Schweizer Energieversorgung weit weniger auf russische Gas- und ÖIimporte ausgerichtet ist als viele andere Länder Europas. Im Namen der GRÜNEN Schweiz forderte ich deshalb bereits bei der ersten gesamtschweizerischen Friedensdemo am 26. Februar 2022 einen Boykott der Schweiz für russische Energieimporte.

«Ein Hauptgrund für Krieg ist, dass die Welt zu wenig demokratisch ist, dass es Autokratien gibt, die sich oft über den Verkauf von Erdöl oder Erdgas an der Macht halten. Wir sollten deshalb nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen den fossilen Brennstoffen schnellstmöglich abschwören.»
Dominic Rohner, Co-Direktor der volkswirtschaftlichen Abteilung, Universität Lausanne im Interview mit der NZZ

Damit könnte sich in der Schweiz langsam eine Mehrheit abzeichnen für einen Gasboykott. Nachdem FDP-Vizepräsident Andri Silberschmid in der Arena vom 1. April 2022 vollmundig seine Unterstützung eines russischen Gas-Embargos ankündigte, hatte FDP-Präsident Thierry Burkart im Rundschau-Interview fünf Tage später noch arg zurückgerudert. Er sei zwar für ein Embargo, aber nur in Abstimmung mit anderen europäischen Ländern. Nun hat sich immerhin das EU-Parlament am 7. April 2022 in einer Entschliessung mit 513 gegen 22 Stimmen und 19 Enthaltungen unter anderem ein sofortiges “vollständiges Embargo” gegen Einfuhren von Öl, Kohle, Kernbrennstoff und Gas aus Russland ausgesprochen.

Öl und Uran: Die Schweiz wäre nicht auf Russland angewiesen

2020 bezog die Schweiz nur einen sehr geringen Anteil des Rohöls aus Russland, und der Ölhandel ist volatil und flexibel. Der Stopp jeglicher Ölimporte aus Russland wäre somit kaum ein Problem. Aber: Ein Grossteil des Terminhandels mit russischem Öl läuft über die Schweiz – nach wie vor. Einen extrem grossen Hebel hätte die Schweiz deshalb, wenn sie in einem neuen Sanktionspaket ein Verbot des Terminhandels mit russischem Öl über Schweizer Rohstoffhändler in Genf oder Zug beschliessen würde.

Obwohl Schweizer AKW mit Brennstäben aus Russland operieren, hätte ein Importstopp auch beim Uran keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Stromversorgung, reichen die Vorräte gemäss den Kraftwerkbetreibern doch für mehrere Jahre.

Weg vom russischen Gas – ein Kraftakt, aber machbar

Grösser ist die Herausforderung beim Boykott von russischem Erdgas: Hier ist die Schweiz sehr eng in die europäische Netzarchitektur eingebunden, die Speicherkapazitäten sind vergleichsweise gering. 2021 stammten 43% des in der Schweiz verbrauchten Erdgases aus Russland. Ein schneller Ersatz durch andere Lieferanten ist wegen des Pipeline-Systems und begrenzter Kapazitäten für Flüssiggas nur sehr eingeschränkt möglich. Rund 40% des Erdgases dient der Beheizung von über 300’000 Privathaushalten und von Bürogebäuden. Ein weiteres Drittel verbraucht die Industrie. Einige Betriebe könnten dank Zweistoffanlagen teilweise auf Heizöl umstellen; das Bundesamt für Energie geht in seinem Monitoringbericht zur Energiestrategie 2050 davon aus, dass so kurzfristig bis 20% des Gasverbrauchs ersetzt werden könnten. Das Potenzial von Biogas dagegen ist gemäss WWF begrenzt.

Ein schneller Ausstieg aus russischem Erdgas ist also anspruchsvoll und erfordert sofortiges Handeln auf verschiedenen Ebenen.

Die Sofortmassnahmen

Das braucht es für den Kraftakt:

  1. Aktivierung der Notfallszenarien im Gasbereich. Wenn die Zweistoffanlagen auf Heizölbetrieb umgestellt werden, kann der Gasverbrauch um 20% gesenkt werden.
  2. Eine Reduktion der Raumtemperatur um 2 Grad. Ein Grad weniger heizen ist nicht nur gesünder, sondern könnte 5-10% der Heizenergie einsparen. Für den nächsten Winter braucht es dafür eine intensive Kampagne.
  3. Enge Zusammenarbeit im europäischen Umfeld im Hinblick auf einen verbleibenden Teilersatz russischen Erdgases für den kommenden Winter.

Allgemeine ist eine rasche Verminderung des fossilen Energieverbrauchs sinnvoll. Dies auch beim Erdölverbrauch, gerade dann, wenn ein Teil der Industrie von Gas auf Öl umstellen sollte. Mögliche Massnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs, wie sie auch die internationale Energieagentur vorschlägt, die kurzfristig umsetzbar sind:

  1. Temporäre Reduktion der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen und Autostrassen auf Tempo 80%. Dies führt gemäss Bund (Antwort 2006) zu einer Reduktion des gesamten Gesamtverbrauchs der Personenwagenflotte um 5-7%.
  2. Empfehlung für wöchentliche Homeoffice-Days
  3. Freiwillige oder verbindliche Massnahmen, die dazu führen, dass die Fahrzeugbelegung steigt (z.B. Überholspuren sperren für Autos, welche nur eine Person befördern).
  4. Mehrere autofreie Sonntage
  5. Sofortige Einführung einer Flugticketabgabe sind nur einige von weiteren Massnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs

Die sofortige und umfassende Einleitung der Energiewende – Energiesouveränitat mit Ersatz der Gasheizungen

Wir GRÜNEN fordern seit Langem den Ausstieg aus fossilen Energien – er ist jetzt auch aus friedens- und sicherheitspolitischen Gründen dringender denn je. Besonders dringend ist der möglichst schnelle Ersatz der Gasheizungen. Dafür braucht es ein massives Investitionsprogramm über die nächsten Jahre – wir GRÜNEN rechnen grob mit gegen 10 Milliarden CHF über drei Jahre. Heizungen statt Kampfjets und weitere Aufrüstung heisst die Devise, denn: Sicherheitspolitisch ist die Unabhängigkeit von fossilen Energien relevanter als die Beschaffung von Kampfjets und Waffen, bevor die Rolle der Schweiz in einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur geklärt ist.   

Soziale Abfederung durch Abschöpfen der Spekulationsgewinne

Die Energiewende schafft neue, sichere Arbeitsplätze. Die Energiewende ist damit auch wichtig für die soziale Sicherheit. Gemeinsam mit der SP lancieren die GRÜNEN dazu die Klimafonds-Initiative für einen Green New Deal. Ein wichtiges Element darin ist auch die Aus- und Weiterbildung sowie die Umschulung als Antwort auf den aktuellen Fachkräftemangel.

Im Moment fliesst kein Tropfen weniger Heizöl und kein Kubikmeter weniger Gas aus Russland nach Europa. Die aktuelle Preissteigerung ist reine Spekulation. Der Verdacht, dass Ölkonzerne mit Preisabsprachen die Preise künstlich hochhalten, ist nicht von der Hand zu weisen. In Deutschland hat der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck darum das Bundeskartellamt angewiesen, die Situation zu prüfen. Dies müsste auch in der Schweiz geschehen – wie dies die grüne Nationalrätin Marionna Schlatter zusammen mit Politiker*innen anderer Parteien auch forderte.

Zudem ist klar festzuhalten: der Ölpreis ist seit Jahren extrem volatil. Der aktuelle Preis ist (inflationsbereinigt) überhaupt nicht aussergewöhnlich. Von 2011 bis 2014 zum Beispiel war der für Europa relevante Preis der Sorte Brent über dem aktuellen Preis von heute.

Rohölpreis Brent – historisch die letzten 30 Jahre (US$/BBL)
Rohölpreis West Texas Intermediate (Inflationsbereinigt!)

Langfristig hohe Energiepreise können für einkommensschwächere Haushalte aber zum ernsthaften Problem werden, vor allem dort, wo der eigene Einfluss gering ist. Herausfordernd ist in dieser Situation, dass man als Mieter*in nicht selbst auf eine fossilfreie Heizung umstellen kann. Für den Fall stark steigender Heizkosten im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine fordern wir GRÜNEN im Bundeshaus deshalb einen Ausgleich über die Ergänzungsleistungen.

Die vollkommen verkehrte Reaktion dagegen wäre die Senkung von Steuern auf Erdöl-/Erdgasprodukten, wie dies die Bürgerlichen in der Frühlingssession 2022 in einem ersten Schritt beschlossen. Damit wird der Anreiz zum Ausstieg aus der Abhängigkeit kleiner. Es gibt eine Giesskannen-Subvention, von der jene am meisten profitieren, die z.B. Autos mit extrem hohem Gebrauch fahren, statt jene, die soziale Probleme haben. Wenn der Preis tatsächlich über längere Zeit hoch bleiben sollte, wäre eine temporäre zusätzliche Abgabe auf Brenn- und Treibstoffen sinnvoller, deren Ertrag direkt an Menschen in “Energiearmut” fliessen würde.