Das Interview

Maghreb-Experte Beat Stauffer lobte am 25.8.2024 in einem Interview Italiens neue, rigide Asylpolitik. Auch die Schweiz brauche radikalere Lösungen und müsse den Druck auf die Herkunftsländer erhöhen, fordert er. Hier einige einordnende Anmerkungen.

Die grosse Mehrheit der Asylsuchenden in der Schweiz haben einen Schutzbedarf. Stauffer verweist korrekt auf die extrem niedrigen Anerkennungsquoten tunesischer Asylsuchender. Allerdings ist dies überhaupt nicht typisch für die ganze Schweizer Asylsituation. Denn Gesuche von Tunesiern machten in der Schweiz 2023 nur 1.9% der Asylgesuche aus (Asylstatistik 2023, Tabelle 2) . Das Gesamtbild ist ein ganz anderes: Die bereinigte Schutzquote in der Schweiz betrug die letzten drei Jahre konstant um die 80%. Das heisst: vier Fünftel der Asylgesuche, die in der Schweiz in den letzten drei Jahren materiell geprüft wurden, ergaben einen Schutzbedarf.

Die Schweiz ist eine grosse Profiteurin des Dublin-Verfahrens. Gestützt auf das Abkommen konnte die Schweiz seit 2009 bis und mit 2023 deutlich mehr Personen in andere Dublin-Staaten überstellen (37 582) als sie selbst übernehmen musste (10 890). Die Bilanz wäre für die Schweiz noch positiver, wenn das von Stauffer gelobte Italien nicht immer wieder die Dublin-Rücknahmen aussetzen würde. Die Schweiz führt Dublin-Verfahren im Gegensatz zum Beispiel zu Deutschland sehr straff durch – während Deutschland den Solingen-Attentäter aus reiner Schlampigkeit nicht nach Bulgarien rücküberstellen konnte, weil man, nachdem man ihn bei einem ersten Aufsuchen zufällig nicht angetroffen hatte, keine weiteren Bemühungen anstellte: der Mann war nie untergetaucht. 

Für die Arbeitsmigration braucht es andere Wege als Asyl. Treffend beschreibt Stauffer, dass Italien auch Arbeitsvisa ausstellt für Tunesier und in Tunesien selbst investiert. Eine Neuordnung müsste darum an das anknüpfen, was in der Vergangenheit funktionierte: Bis in die 90er Jahre gab es eine ausgedehnte Zirkulärmigration zwischen dem Maghreb und den südeuropäischen Staaten, vor allem Spanien. Diese Arbeitsmigration reagierte auf den Bedarf nach Arbeitskräften in diesen Ländern. Mit der Weiterentwicklung der EU wurde dies plötzlich unterbunden. Je höher die Mauern um Europa sind, je schwieriger das Einwandern gemacht wird, umso stärker spielt der sogenante Lock-In-Effekt. Das heisst: Wer es einmal geschafft hat, gegen alle Widerstände nach Europa zu kommen, will um jeden Preis bleiben, notfalls auch illegal. Früher gingen die Personen auch wieder zurück, wenn sie keine Arbeit mehr hatten – weil sie wussten: wenn es wieder Arbeit gibt, kann ich wieder kommen. Als Alternative zur heutigen Abschottungspolitik wäre es sinnvoll, wie das Stauffer selbst in seinem Buch «Maghreb, Migration und Mittelmeer» anspricht, wieder solche zirkuläre Migrationsmodelle zu ermöglichen.