Was bedeuten Anerkennungs- und Schutzquote?
Unechte Flüchtlinge? Statistik zeigt: Vier Fünftel der materiell geprüften Gesuche brauchen Schutz.
- Rechte Politiker:innen beklagen, dass das Schweizer Asylsystem überlastet werde von “unechten Flüchtlingen”
- Dabei zitieren sie immer die Anerkennungsquote, sprich: Wieviel Prozent aller eingegangenen Gesuche erhalten den individuellen Asylstatus
- Die relevante Zahl wäre allerdings die Schutzquote: Wieviele Prozent der geprüften Gesuchssteller:innen brauchen Schutz?
- Die bereinigte Schutzquote der Schweiz beträgt über vier Fünftel. Sie wird berechnet, indem nur die effektiven materiellen Entscheide berücksichtigt werden.
- Gemäss den Zahlen, welche der Bund an EUROSTAT liefert, ist der Anteil definitiv rechtskräftiger Schutzentscheidungen (nach allfälligen Rekursen) aktuell sogar noch höher.
- Indem das Staatssekretariat für Migration (SEM) diese Zahl in einer europäischen Statistik versteckt, statt sie auch in der Schweizer Asylstatistik zu erwähnen, ist es mit verantwortlich dafür, dass die Rechten die Asylsituation irreführend darstellen können.
Dieser Erklärbeitrag wurde inspiriert von Vivre Ensemble, welche seit längerm die Asylstatistiken erklären, auf falsche Interpretationen hinweisen und Vorurteile korrigieren.
Erklärungen zu Anerkennungsquote und Schutzquoten
Das untenstehende Diagramm zeigt den Fluss der Asylgesuche gemäss Asylstatistik des Bundes für das Jahr 2023. Oft im Zentrum der Debatte steht die Anerkennungsquote: Wieviele Entscheide (blau/hellblau) führen zur Asylgewährung (grün)?
Tatsächlich wird nach Schweizer Recht Asyl aber nur persönlich besonders betroffenen Personen erteilt. Wer aus einer für viele unerträglichen Situation flieht (zum Beispiel aus einem Krieg oder Bürgerkrieg oder als Angehöriger einer bekämpften Bevölkerungsgruppe aus einer Diktatur), erhält also in der Schweiz meist kein Asyl, sondern einen negativen Entscheid mit einer sogenannt “vorläufigen Aufnahme”.
Den Anteil aller Asylgewährungen und vorläufigen Aufnahmen (grün) im Vergleich zu sämtlichen Entscheiden (grün, rot, hellblau) heisst die Schutzquote.
Die Schutzquote nach obiger Definition berücksichtigt allerdings nicht, dass gar nicht alle Entscheide tatsächlich materiell die Schutzbedürftigkeit abklären. Viele Asylsuchende erhalten einen rein formellen Nichteintretensentscheid. Der grösste Teil der Nichteintretensentscheide erfolgt, weil bereits ein Eintrag in der europäischen Asyldatenbank EURODAC besteht. Das heisst: für die materielle Prüfung, ob jemand Schutz braucht, ist gemäss den Regeln des Dublin-Systems nicht die Schweiz, sondern ein anderer europäischer Staat zuständig.
Darum muss man korrekterweise die Nichteintretensentscheide herausrechnen, um eine aussagekräftige bereinigte Schutzquote zu erhalten. Die bereinigte Schutzquote besagt, welcher Prozentsatz an materiellen Entscheiden zu einer Schutzgewährung führen. Die bereinigte Schutzquote der Schweiz lag in den letzten zehn Jahren immer über 70%, in den letzten drei Jahren sogar um 80%.
Diese bereinigte Schutzquote ist übrigens auch die Zahl, welche die Schweiz an die europäische EUROSTAT meldet. Wobei hier noch berücksichtigt wird, dass einige negative Entscheide auch angefochten und korrigiert werden. Sprich: es werden nur jene Entscheide gemeldet, die tatsächlich rechtskräftig sind. Dies ergibt für die Schweiz im Jahr 2023 sogar eine definitive bereinigte Schutzquote von 86%.
Warum sind die Statistiken von EUROSTAT so anders als jene der Schweiz? Weil EUROSTAT sich nicht in erster Linie für Zweitgesuche in anderen Ländern interessiert (die zum Teil gemacht werden, weil eine asylsuchende Person lieber in einem anderen Land leben würde). Stattdessen interessiert sich EUROSTAT für die Beantwortung der Frage, wieviele der Menschen, die in Europa Schutz suchten, wirklich einen Schutzbedarf hatten.