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Zusammenfassung

  • Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist eine Anzeigestatistik, sie erfasst also die von der Polizei registrierten mutmasslich strafbaren Handlungen (Hellfeld), während das Dunkelfeld nicht angezeigter Straftaten unberücksichtigt bleibt.
  • Das Anzeigeverhalten variiert stark je nach Deliktart und wird durch Faktoren wie Gesetzesänderungen, Polizeikontrollen und öffentliche Diskussionen beeinflusst, was die Interpretation der PKS erschwert.
  • Um die PKS richtig interpretieren zu können, muss man wissen, dass sei einzelne mutmassliche Straftaten zählt und nicht Fälle, was die Kriminalitätsziffern verzerrt.
  • Gerade bei Aussagen zur «Ausländerkriminalität» sind zudem strukturellen Unterschiede wie Alter oder Geschlecht bei unterschiedlichen Populationen zu berücksichtigen – und man muss „Kriminaltouristen“ und hier lebenden Ausländer:innen korrekt auseinanderhalten.

Dies ist ein überarbeiteter Text, der erstmals am 4.4.2025 in der Wochenzeitung P.S. erschienen ist.  

Seit März 2010 präsentiert das Bundesamt für Statistik (BFS) jährlich eine umfangreiche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die Kantonspolizeien melden nach einheitlichen Regeln alle angezeigten Straftaten des Strafgesetzbuchs, des Betäubungsmittel- und des Ausländergesetzes.

Eine Statistik verstehen kann nur, wer weiss, was wie tatsächlich gezählt wird. Dies war leider offensichtlich auch bei vielen Medienschaffenden zu viel verlangt, wenn man die Artikel in der Folge der Veröffentlichung der PKS 2024 Anfang letzter Woche durchsieht. Und wer zum Beispiel den Anstieg bei Einbruchdiebstahl beklagt, müsste dies sinnvollerweise auch in den langfristigen Kontext setzen. Hier die Langzeitstatistik: 

Aber beginnen wir am Anfang: Die PKS ist eine Anzeigestatistik. Titel wie «Kriminalität um x Prozent gestiegen» sind schlicht falsch. Denn die PKS umfasst nur die von der Polizei registrierten mutmasslich strafbaren Handlungen, das sogenannte Hellfeld. Das Dunkelfeld der nicht angezeigten Straftaten bleibt gezwungenermassen aussen vor – und es wäre naiv, anzunehmen, dass auf jede angezeigte Straftat fix eine unangezeigte kommt. Auf Anfrage erklärte das BFS dazu: «Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass das Anzeigeverhalten je nach Bereich, in dem die Straftat begangen wurde, stark variiert und sich auch die Ressourcen der kantonalen Polizeibehörden, die Richtlinien der Staatsanwaltschaften und Gesetzesänderungen auf die Anzeigequoten auswirken können.»

Das Anzeigeverhalten schwankt

Das Anzeigeverhalten schwankt also je nach Deliktart. So gehen Dunkelfeldstudien zum Beispiel davon aus, dass ein Grossteil der mutmasslichen Vergewaltigungen nicht angezeigt wird. Gesetzesänderungen und deren Diskussion in der Öffentlichkeit – wie aktuell die seit Mitte 2024 geltende Revision des Sexualstrafrechts mit der erweiterten «Nein-heisst- Nein»-Lösung – beeinflussen natürlich auch das Anzeigeverhalten. Wenn zudem neue Straftatbestände geschaffen werden wie 2023 der Identitätsmissbrauch, dann steigt auch die Zahl der möglichen Delikte.

Auch die Polizeiressourcen sind relevant. Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz oder gegen das Ausländergesetz sind sogenannte Kontrolldelikte. Sie werden kaum von einem Opfer angezeigt, sondern meist durch Polizeikontrollen erfasst. Bei einem faktisch unveränderten Deliktverhalten zeigt hier die Statistik umso mehr angebliche Kriminalität, je mehr Polizei im Einsatz ist und kontrolliert. Die PKS misst nicht die Kriminalität, sondern das Hellfeld. Wenn dem nicht so wäre, könnte man ja sonst tatsächlich sagen: Schafft die Polizei ab und senkt damit die Kriminalität!… was natürlich Blödsinn ist.

Die PKS zählt zudem im Kern polizeilich angezeigte Straftaten. Wenn also bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung mehrere Anzeigen anfallen – etwa wegen Beleidigung, Sachbeschädigung, Tätlichkeit und Hinderung einer Amtshandlung –, so ergibt das nicht einen «Fall», sondern vier einzeln zu zählende Straftaten. Das ist täuschend: Es steigert die Kriminalitätsziffern, ohne dass mehr Fälle oder Täter auftraten.

Immer für Aufsehen sorgt schliesslich die Frage der «Ausländerkriminalität». Sehen wir mal davon ab, dass gewisse Delikte im Bereich des Ausländerrechts per Definition nur von NichtSchweizer:innen begangen werden können. Und schieben wir auf die Seite, dass die PKS ja nur Beschuldigte kategorisiert – ohne zu wissen, ob diese dann tatsächlich verurteilt werden.

Würde man die SVP-Logik der kriminellen Ausländer:innen anwenden auf das Kriminalitätsniveau der Kantone, dann käme man zu ähnlichen skandalisierbaren Aussagen. Denn im Kanton Solothurn kommen 2024 auf Tausend Einwohner:innen 77 Straftaten nach StGB, in Basel-Land dagegen nur 54 und in Glarus gar nur 31. Sind Solothurner also kriminelle Kraftprotze und Glarner Lämmerschwänzchen?

Nein. In der deutschen PKS steht seit Jahren ein deutlicher Warnhinweis: «Die Kriminalitätsbelastung der Deutschen und Nichtdeutschen ist aufgrund der unterschiedlichen strukturellen Zusammensetzung (Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur) nicht vergleichbar. Die sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind im Vergleich zur deutschen Bevölkerung im Durchschnitt jünger und häufiger männlichen Geschlechts. Sie leben eher in Grossstädten, gehören zu einem grösseren Anteil unteren Einkommens- und Bildungsschichten an und sind häufiger arbeitslos. Dies alles führt zu einem höheren Risiko, als Tatverdächtige polizeiauffällig zu werden.»

Dieser Hinweis gilt ebenso auch für die Schweiz.

 

«Die Kriminalstatistik zählt Anzeigen, nicht Kriminalität.»

 

Die PKS misst nicht die Kriminalität, sondern das Hellfeld. (Grafik: Balthasar Glättli, Quelle: BFS (PKS), erstellt mit Datawrapper)