Economiesuisse ohne Antworten
Was ist das Problem der Economiesuisse? Der fehlende Sinn fürs Politische, sagt Gerhard Pfister. Die Globalisierung der Wirtschaft, findet Balthasar Glättli.
Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, nach der verlorenen Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform III gerieten die Wirtschaftsverbände in die Kritik. Ich fand es allerdings stets falsch, den Volksentscheid mit Fehlern der Economiesuisse zu begründen. Die Fehler machte das bürgerliche Parlament. Dennoch komme ich nicht umhin, festzustellen, dass der Arbeitgeberverband und die Economiesuisse sich bei der Altersvorsorge 2020 erstaunlich lernresistent gaben, neben SVP und FDP. Man lobbyierte kompromisslos einseitig, machte Druck über nahestehende Medien und verschlechterte den absehbaren Kompromiss mutwillig, so dass die Chancen in einer Volksabstimmung geringer wurden.
Balthasar Glättli: Die Steuerreform wurde tatsächlich abgelehnt, weil das Fuder massiv überladen war, das hätte auch eine andere Kampagne nicht geändert. Aus meiner Sicht sind Economiesuisse und der Arbeitgeberverband dabei, ihren Einfluss auf die Politik – selbstverschuldet – zu verlieren. Natürlich: Sie sind weiterhin ein wichtiger Player. Aus Sicht der Grünen: ein zu wichtiger. Das Gewicht vor allem der Economiesuisse ist vielleicht auch darum geringer geworden, weil ihre Sensibilität für politische Fragen in ihrer ganzen Komplexität und für die schweizerische Tradition des Kompromisses geschwunden ist. Der historische Wendepunkt war die Niederlage am 9. Februar 2014. Die Economiesuisse hatte zuvor keine Bereitschaft zur Diskussion über die Optimierung flankierender Massnahmen gezeigt und verliess sich nur auf die Gleichung «Was der Wirtschaft nützt, nützt allen». Aber heute spricht man über Umverteilung, über Ungleichheit und über die Frage, wohin die Firmengewinne fliessen. Nicht nur in linken und grünen Kreisen.
Gerhard Pfister: Der Einfluss solcher Verbände ist tatsächlich geringer geworden. Diese Entwicklung ist schlecht für die Verbindung von Politik und Wirtschaft. Weil es in der Wirtschaft immer mehr Manager und weniger Unternehmer gibt, delegiert man in den Wirtschaftsverbänden die Aufgaben stärker an Funktionäre. Der ehemalige Economiesuisse-Präsident Geri Bührer war als Nationalrat und Unternehmer noch in beiden Welten zu Hause – und deshalb für mich sehr glaubwürdig und verlässlich. Er wusste: Politik funktioniert anders als Wirtschaft. Dieses Verständnis für die jeweils andere Seite vermisse ich heute sowohl bei Parlamentariern wie bei Verbandsvertretern. In der direkten Demokratie zählt das Mehrheitsfähige so viel wie das sachlich Richtige. Es nützt nichts, im Parlament recht zu haben, um dann beim Volk nicht recht zu bekommen.
Balthasar Glättli: Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung wäre es wichtig, die politische Einflussnahme der Multis zu hinterfragen, ob ihr Sitz nun in der Schweiz oder in einem anderen Land ist. Wie der Politikwissenschafter Colin Crouch schrieb, ist der alte Gegensatz zwischen Wirtschaft und nationalstaatlich organisierter Politik heute nicht mehr gültig. Es gibt dafür einen neuen Gegensatz zwischen den Nationalstaaten und den stark ortsgebundenen Firmen einerseits und dem Druck der Multis auf den Nationalstaat mit seinen Steuern und Regeln andererseits. Die Economiesuisse scheint bis heute keine Antwort gefunden zu haben auf diese strategische Herausforderung, die ja auch sie in ein neues Umfeld setzt: wirtschaftlich wie politisch.
Gerhard Pfister: Na ja, das ist sehr weit hergeholt. Auch seitens der Linken mangelt es ja nicht an Verbänden, die sehr direkt Einfluss nehmen auf die Entscheide der Politik. Oder behaupten Sie das Gegenteil?
Balthasar Glättli: Es ist gut, dass heute nicht mehr einfach nur der Vorort, wie der Wirtschaftsdachverband einst hiess, dem Bundesrat sagt, was er zu tun hat und wie weit er gehen darf. Sondern dass in der Vernehmlassung alle relevanten Stimmen zu Worte kommen. So kann der Bundesrat Vorlagen zimmern, die dann auch in einer allfälligen Volksabstimmung Bestand haben könnten. Was Ihre Frage mit meiner Analyse zu tun hatte, erschliesst sich mir nicht ganz. In Kürze: Das Spannungsfeld zwischen dem klassischen politischen Handlungsrahmen, dem Nationalstaat, und international organisierten Multis besteht nicht nur zwischen Politik und Economiesuisse, sondern geht durch sie hindurch. Finden sie tatsächlich, die Organisation stelle sich diesem Konflikt?
Gerhard Pfister: Ich kann das zu wenig beurteilen. Zudem ziehe ich es vor, meine Kritik an den Verbänden nicht öffentlich anzubringen, sondern im direkten Gespräch. Selbstverständlich sollen in der Vernehmlassung alle Interessierten sich einbringen können. Problematischer wird es dann, wenn Verbände in der parlamentarischen Entscheidfindung intervenieren und so zur Partei werden. Die Glaubwürdigkeit von Wirtschaftsverbänden liegt darin, dass sie ihre Anliegen so einbringen können, dass die bürgerlichen Parteien nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Blockbildung funktioniert in unserem politischen System nicht. Diese Einsicht vermisse ich ab und zu bei Wirtschaftsexponenten oder deren Verbandsvertretern.
Balthasar Glättli: Bei vielen Kolleginnen und Kollegen, aber auch bei den Medien und in der Öffentlichkeit vermisse ich noch eine andere Einsicht: All das Gerede gegen die politische Klasse und der Kult um das Milizparlament führen dazu, dass die Verbände aller Richtungen, die Lobbys, und – last but not least – die Verwaltung zu viele Entscheidungen prägen. Stattdessen hätte ich lieber ein stärkeres Parlament, das Pressionen aller Seiten stärker widerstehen könnte.