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In Kürze

Dieser Text erschien als Grüne Gedanken zur Woche in der Wochenzeitung P.S. vom 7.6.2024.

«Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune…» – so lässt sich die Nationalratsdebatte zur Umweltverantwortungs-Initiative vom Montag zusammenfassen. Die Initiative verlangt, dass unsere Wirtschaft und unser Konsum die planetaren Grenzen respektiert. Stattdessen forderten SVP bis glp das Gegenteil: Die Wirtschaft müsse geschützt werden vor so radikalen Forderungen – sei sie doch die Quelle unseres Wohlstands. Als könnte man Geld essen, trinken, atmen…

Die falsche Darstellung des Nachhaltigkeitsdreiecks feierte Urständ. Nach dem Motto: wir müssen beim Umweltschutz zurückstecken, um die Wirtschaft zu retten. Dabei sind Umwelt, Soziales und Wirtschaft eben die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, die jede für sich respektiert werden muss. Eine Wirtschaft, die ihre eigenen materiellen Grundlagen untergräbt, ist für sich nicht nachhaltig – selbst wenn sie soziale Wohlfahrt produzieren würde. Die Idee, man könne mit parlamentarischer Mehrheit die Naturgesetze ausser Kraft setzen, als sei die Schweiz eine Insel mit einer eigenen, unerschöpflichen Natur: man müsste es als absurd abtun, wäre es nicht schlicht gefährlich.

Nur wer frei ist, kann Verantwortung tragen. Aber es gilt eben auch die Umkehrung: nur wer Verantwortung trägt, ist wirklich frei.
Balthasar Glättli, Nationalrat GRÜNE

Am gleichen Montagnachmittag feierte das Inseldenken auch ein paar Meter weiter im Ständerat Urständ. In einem Hüftschuss beschloss der Ständerat, die Entwicklungszusammenarbeit um einen Drittel zu kürzen, zugunsten einer Armeeaufrüstung, deren konkreten Elemente man sich offensichtlich aus den Fingern saugen musste – Fabian Molina geht in seinen roten Gedanken diese Woche im P.S. näher darauf ein.

Institutionell am schwerwiegendsten dann der Mittwoch im Ständerat, der von einer «Chambre de réflexion» zu einer «Chambre de reflex» geworden ist. Wenn einem ein Urteil nicht passt – dann liest man es nicht. Sondern fordert den Bundesrat auf, den EGMR einfach zu ignorieren. Und beruft sich dabei auf den Primat der Mehrheitsentscheidung. Was Montesquieu als Fundament jeden modernen Rechtsstaates begründete – die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, zwischen Parlament, Regierung und Justiz – wurde vom Ständerat mit grossem Mehr geschleift. Und das in einer Debatte, die bewies, dass sich Einbildung, Selbstgefälligkeit und Inkompetenz nicht ausschliessen. Im Gegenteil.  

Die Schweiz als Insel. Als Insel – die nichts zu tun hat mit dem Rest der Welt. Als Insel – welche die Soliarität mit dem Rest der Welt, der Kampf gegen Hunger und Armut, zur Seite schiebt, für ein paar Armeemilliarden. Als Insel – die sich foutiert um die Rechtsstaatlichkeit.

Nur wer frei ist, kann Verantwortung tragen. Aber es gilt eben auch die Umkehrung: nur wer Verantwortung trägt, ist wirklich frei. Die bürgerliche Mehrheit und der beleidigte Möchtegernbundesrat Jositsch stellten im roussauistischen Rausch das Mehrheitsprinzip über die Naturgesetze, über die Solidarität, über den Rechtsstaat. Was bei Pipi Langstrumpf munter klingt, die sich die Welt so macht, wie sie ihr gefällt – das ist im Parlament weder lustig noch seriös, sondern bloss eines: im höchsten Masse unverantwortlich und unsouverän.

Balthasar Glättli, Nationalrat GRÜNE