Ich will Zukunft
Der Stadtzürcher Wahlkampf war bisher wenig spannend. Nun hat er plötzlich Fahrt aufgenommen. Die aktuelle Umfrage im Tages-Anzeiger zeigt: Um den Strich wird es eng. Gelingt Dominik Waser, dem grünen Kandidaten aus der Generation Klimastreik, die Überraschung? Verdrängt er einen Freisinnigen aus dem Stadtrat? Ich gestehe es hier sehr offen: Ich hatte zuerst meine Mühe damit, dass die Stadtzürcher Grünen Dominik als ihren Kandidaten nominierten. Nicht aus persönlichen Gründen. Nicht wegen politischer Differenzen. Sondern ganz simpel, weil ich der Meinung bin, dass in der Politik auch das Handwerk zählt. Und dieses Handwerk will gelernt sein. Erfahrung hilft dabei.
Man kann Dominik nun weiss Gott nicht absprechen, dass er für seine jungen Jahre sehr viele, vielfältige und konkrete Erfahrungen gesammelt hat: auf der aktivistischen Bühne, in der politischen Kleinarbeit hinter den Kulissen, als parlamentarischer Mitarbeiter, als Unternehmensmitgründer und Kleinunternehmer. Gemeinderatsluft von innen hat er bisher nicht geschnuppert.
Dass ich so offen über meine damaligen Zweifel spreche, hat seinen Grund. Ich werde Dominik Waser auf meinen Wahlzettel schreiben. Ich finde den Entscheid der Grünen Zürich unterdessen richtig. Erfahrung bringen für uns ja Daniel Leupi und Karin Rykart in den Stadtrat ein. Haben wir den Mut, auch Bewegung in den Stadtrat zu bringen! Die Überraschung ist möglich. Und ich will sie: Ich will Zukunft.
Ich glaube, dass Zürich wieder mehr Mut braucht, um ein ganz praktisches Labor zu sein, um die grossen Veränderungen zu gestalten, die die nächsten Jahrzehnte prägen müssen. Wer, wenn nicht wir – wo, wenn nicht hier – wann, wenn nicht jetzt! Dominik Waser würde dem Stadtrat neue Dynamik geben. Als Mut-Macher. Als Mahner. Und als kluger Kämpfer, der bereit war, den Schritt zu tun, nicht einfach von ‹der Politik› zu fordern, dass sie endlich vorwärts macht. Sondern sich selbst hineinzuknien. Frei nach dem Motto: Machen ist wie wollen. Nur krasser. Wir gestandenen PolitikerInnen kommen nicht um ein wenig Selbstkritik herum. Wir wissen oft allzu gut, warum etwas nicht geht. Oder länger braucht. Und haben damit oft sogar recht. Falsch wäre es aber, deswegen einfach die Ambitionen herunterzuschrauben. Wenn Politik nur die Kunst des Möglichen ist, dann verliert sie jeden transforma- tiven Anspruch. Politik muss das Undenkbare denkbar, das Denkbare möglich machen wollen: Dass wir noch rechtzeitig die Kurve kriegen – raus aus der Wegwerfgesellschaft, hin zu Klimagerechtigkeit.
Darin haben wir alle keine grosse Erfahrung. Wie wir ein System friedlich und demokratisch getragen von Grund auf neu aufstellen. Wenn da einer ist, der einfach sagt: «Ich will Zukunft. Das muss möglich sein» und bereit ist, sich an dieser Forderung auch konkret die Zähne auszubeissen – dann kann das unserem Zürcher Stadtratsteam nicht schaden.
Balthasar Glättli
(Dieser Text erschien als GRÜNE GEDANKEN ZUR WOCHE in der linken Wochenzeitung P.S. am 21.1.2022)