Rückschritt statt Fortschritt
Dass Wahlen Konsequenzen haben zeigte die Frühlingssession 2023. Aber die stärkere rechtsbürgerliche Vertretung stellte nicht nur neue Weichen, sondern kehrte auch zum Teil mehrfach bestätigte Entscheide ins Gegenteil.
In Kürze
Dieser Text erschien als Grüne Gedanken zur Woche in der Wochenzeitung P.S. vom 28.3.2024.
«Wenn Wahlen Konsequenzen hätten, wären sie längst verboten.» So lautet ein alter anarchistischer Spruch. Die aktuelle Session zeigt das Gegenteil. Wahlen haben durchaus Konsequenzen.
Der Grünrutsch 2019 bewirkte bei Mitte und FDP mehr Offenheit für grüne Anliegen. Das führte zu grünen Erfolgen. Einer der wichtigsten ist die Kreislaufwirtschaft: Neu hat die stoffliche Verwertung Vorrang vor der Verbrennungsanlage. Produkte sollen langlebiger werden. Hersteller sollen Ersatzteile lange vorhalten. Auch im Baubereich greift die Kreislaufwirtschaft. So wird es neu Grenzwerte geben für die graue Energie bei Neubauten und grossen Renovationen. Wesentliche Pfeiler der Initiative «Für eine grüne Wirtschaft» wird nun umgesetzt!
Seit dem Rechtsrutsch im Herbst 2023 orientieren sich Mitte und vor allem FDP stärker an Rechtsaussen. Das neue CO2-Gesetz bringt nur noch Zwergenschrittchen für den Klimaschutz. Beim Umweltschutzgesetz geht’s rückwärts statt vorwärts, es wird zum Umwelt-Schmutz-Gesetz: die Lenkungsabgabe auf flüchtige organische Verbindungen (VOC, verantwortlich für gesundheitsschädliche Ozonbildung) soll abgeschafft und der Lärmschutz für Wohngebiete an lauten Strassen und in der Nähe von Flughäfen ausgehöhlt werden.
Aber auch Entscheide der Vergangenheit werden rückgängig gemacht. Drei Beispiele:
Erstens Biodiversitätsflächen. Vor drei Jahren beschloss das Parlament eine Mindestvorgabe von 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen (BFF) auf den Ackerflächen. Das neue Parlament verschob im letzten Dezember zuerst die Einführung nach hinten – obwohl die Bauern sich bereits an den neuen Vorgaben ausgerichtet hatten. Und nun will eine Nationalrats-Mehrheit die Vorgabe gleich ganz streichen.
Zweitens Bauen ausserhalb der Bauzonen. Noch im September 2023 wurde die zweite Etappe des Raumplanungsgesetzes beschlossen, als faktischer Gegenvorschlag zur Landschaftsschutz-Initiative. Die Initiant:innen zogen daraufhin die Initiative zurück. Doch jetzt, noch bevor die Verordnung zum neuen Gesetz ausgearbeitet ist, stimmt eine Mehrheit im Nationalrat plötzlich für eine massive Lockerung beim Umbau von landwirtschaftlichen Bauten. Wortbruch pur. Zersiedelung ahoi.
Drittens Stimmrechtsalter 16. Gegen den Willen seiner Staatspolitischen Kommission hatte der Nationalrat die Kommission in der letzten Legislatur mehrfach verknurrt, eine Vorlage auszuarbeiten. Sie weigerte sich, zuletzt ohne dass irgend etwas Neues passiert wäre. Obwohl dieses Vorgehen faktisch bedeutet, dass eine Kommission den Mehrheitswillen des Rats torpedieren kann. Nun hat sie ihr Ziel erreicht: Der neu zusammengesetzte Nationalrat hat in neuer Zusammensetzung das selbst in Auftrag gegebene Anliegen begraben.
Dass Wahlen Konsequenzen haben – das gehört zu einer Demokratie. Die drei Beispiele zeigen aber noch etwas anderes: eine rechts-bürgerliche Mehrheit lässt den Respekt vor demokratisch gefällten Entscheiden vermissen und kündigt auch eben erst verhandelte Kompromisse einseitig auf. Kein gutes Omen für tragfähige Lösungen in dieser Legislatur.
Balthasar Glättli, Präsident GRÜNE Schweiz