Wie werden wir Gründer? Mit privatem Mut und dem Staat, sagt Balthasar Glättli und empfiehlt Gerhard Pfister ein Buch. Der will es lesen, bleibt aber skeptisch. Die E-Mail-Debatte.
Balthasar Glättli
Geschätzter Kollege, plötzlich scheint eine futuristische Lösung für ein grosses Problem unserer Zeit der Realisierung einen Schritt näher: Cargo Sous Terrain hat den vom Bundesrat geforderten ersten Finanzierungsschritt geschafft. Läuten Tunnels für Güter – wie einst bei Escher der Gotthard – eine neue Gründerzeit ein?
Gerhard Pfister
Möglich. Aber für eine neue Gründerzeit müsste tatsächlich etwas Innovatives dazukommen. Eigentlich ist die Schweiz von heute in Grundzügen immer noch das Werk Eschers. Der Neat-Tunnel ist zwar rekordlang, aber etwas vollkommen Neues, wie einst Eschers Werk, ist er nicht. Natürlich finde ich Cargo Sous Terrain faszinierend. Im digitalen Bereich sind die weltweit wichtigsten Firmen jedoch alle in den USA oder in Asien. Europa ist da nicht mehr führend.
Balthasar Glättli
Einverstanden. Unterirdische Güterwägeli, das ist eher eine Vision aus den Siebzigern, als man für immer neue Strassen die dritte Dimension erobern wollte. Im digitalen Bereich ist die Schweiz indes schon präsent: Zug gilt in breiten Kreisen ja bereits als Crypto Valley, wegen der Konzentration von Blockchain-Firmen. Allerdings ist bei der Blockchain auch nicht alles Gold, was glänzt. Die Technik-Libertären, welche die Blockchain als neues, digitales Bargeld preisen verwechseln Anonymität mit Pseudonymität. Als Krimineller würde ich keine Technik nützen, welche – sollte mir mein Nummernkonto einmal zugeschrieben werden können – auch gleich eine fälschungssichere vollständige Transaktionsliste präsentiert! Vom Stromverbrauch will ich gar nicht reden.
Gerhard Pfister
Danke für die Erwähnung meines Heimatkantons, der sich tatsächlich als Standort für diese innovative Technologie sehr früh und gut positioniert hat. Hier gebe ich Ihnen recht. Das ist ein guter Anfang, und er zeigt auch die Aufgabe der Politik: den Rahmen zu bieten für private Initiative. Andererseits scheint mir die Kritik an dieser neuen Technologie auch etwas typisch dafür, wie wir in der Schweiz mit Innovation umgehen: Man betont die Risiken, hat Bedenken und entmutigt Unternehmen, indem das Scheitern immer noch stigmatisiert wird. Nicht jeder hat die Kraft Eschers, um sich auch gegen riesige Widerstände durchzusetzen und durchzuhalten. Auch unsere ETH sollten ermutigt werden, mehr mit Sponsoren und privaten Initianten zusammenzuarbeiten, auch Risikokapital zu erhalten.
Balthasar Glättli
Innovation ist oft ein – cleverer! – privater Zwergenschritt auf der Schulter von staatlichen Riesen. Mariana Mazzucatos lesenswerte Streitschrift «Das Kapital des Staates» hat dies aufgezeigt: Gerade auch modernste Innovation im Digitalbereich baut auf technologischen Fundamenten auf, die aus staatlicher Förderung und öffentlichen Geldern entstanden sind. Umso wichtiger ist, dass in dieser staatlich-privaten Symbiose nicht nur die Risiken von der Öffentlichkeit getragen und die Gewinne von Privaten in Steuerschlupflöchern versteckt werden. Da ist Zug, das den innerschweizerischen und internationalen Steuerwettbewerb immer wieder anheizte, ein schlechtes Vorbild.
Gerhard Pfister
Der Wohlstand der Schweiz basiert – auch – auf einem wirtschaftsfreundlichen Umfeld, und dazu gehört eine massvolle Besteuerung der Unternehmen und der Menschen. Digitalisierung entstand ohne politische Steuerung. Echte Innovation ist mehrheitlich das Resultat privater Initiative, gerade weil der Staat Kreativität nicht bestimmen kann, sondern nur den Rahmen bilden muss, dass Kreativität möglich wird. Der Staat soll seine Hochschulen finanzieren, aber dass unsere zwei ETH zu den Weltbesten gehören, ist das Verdienst der dort arbeitenden Menschen – ohne staatlichen Dirigismus. Die Schweiz muss aufpassen, dass sie den Wohlstand nicht nur verwaltet, sondern die Freiräume schafft, wo Innovation, Risikobereitschaft und Unternehmertum gefördert werden. Die USA sind diesbezüglich nach wie vor ein Vorbild an innovativer Kraft.
Balthasar Glättli
Sie lesen ja schnell und sind klug: Darum schenke ich Ihnen gern die 320 Seiten von Mazzucato. Viel kompetenter als ich es je könnte, widerlegt die Ökonomin die Mythen, die auch Ihre Haltung prägen. Mazzucatos Forschungen zum Zusammenhang zwischen Innovation und Wachstum zeigen: Wo immer technologische Innovationen zu wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlstand geführt haben, hatte ein aktiver Staat die Hand mit im Spiel. Das Internet wäre ohne amerikanisches Militär und Universitäten ebenso wenig denkbar wie der Computer. Steve Jobs und sein iPhone haben tatsächlich das mobile Internet und die App-Ökonomie zum Fliegen gebracht. Aber die Genialität Jobs und seiner Entwickler war es nicht, Neues zu erfinden, sondern bestehende Erfindungen zu verwerten und zu vermarkten. Den Mut zu dieser unternehmerischen Genialität brauchen wir in der Schweiz ebenso wie die Entschlossenheit, den Staat selbst auch innovativ und unternehmerisch tätig sein zu lassen, statt ihn abzuwürgen.
Gerhard Pfister
Danke für die Buch-Offerte, die nehme ich gerne an! Kann ja sein, dass ich nach der Lektüre die Dinge anders sehen werde. Bis dahin halte ich fest: Echte Innovation ist Menschenwerk, nicht Staatsleistung. Zudem scheint mir in der Schweiz eine gewisse Wohlstandsermüdung um sich zu greifen, die Freiheit, Unternehmertum und Risiko weniger stark gewichtet als Wohlstandsverwaltung. Das finde ich falsch, angesichts der globalen Konkurrenz in Asien und den Vereinigten Staaten. Wir sind weit weg von Eschers Pioniergeist. Leider.
© NZZ am Sonntag; «Unterirdische Güterwägeli, das ist eher eine Vision aus den Siebzigern»; 27.01.2018