Für Balthasar Glättli sind 20 Tage Vaterschaftsurlaub das absolute Minimum. Gerhard Pfister hingegen verurteilt dies als unzulässigen Staatseingriff.
Gerhard Pfister
Geschätzter Kollege, die Volksinitiative für 20 Tage Vaterschaftsurlaub ist zustande gekommen. Für mich geht das Anliegen zu weit, insbesondere, wenn es auf Verfassungsebene einen nationalen Rechtsanspruch geben soll. Die Sozialpartnerschaft in der Schweiz funktioniert gut, es braucht keinen Staatseingriff. Was meinen Sie?
Balthasar Glättli
Ich finde das Anliegen berechtigt, sinnvoll, bezahlbar, überfällig. Und ja: Eine eidgenössische Regelung ist auch nötig, denn der Vaterschaftsurlaub soll nicht nur eine Differenzierung zwischen fortschrittlicheren und weniger familienfreundlichen Arbeitgebern sein. Dazu braucht es eine solidarische Deckung über die Erwerbsersatzordnung wie beim Mutterschaftsurlaub. Das kostet Arbeitnehmende und Arbeitgebende je 0,6 Lohnpromille (nicht Prozente!). So viel sollte ein guter Start der Familien uns wert sein!
Gerhard Pfister
Das Problem ist immer, dass die einzelnen kleinen Schritte – auch finanziell – in der Summe einen grösseren negativen Effekt ergeben. Jedes Element findet eine sinnvolle Begründung, im Gesamten führt das zu einer Schwächung des liberalen Arbeitsmarkts, einer der grössten Stärken der Schweiz. Der Wettbewerb auch unter den Arbeitgebern soll ruhig etwas mehr spielen. Ich war in meinen Firmen immer bereit, mit den Mitarbeitenden eine für beide Seiten gute Lösung zu finden, ohne dass mir der Staat das vorschreiben musste. Das waren manchmal weniger als zwanzig Tage, manchmal mehr. Für mich gehört das zur unternehmerischen Selbstverantwortung.
Balthasar Glättli
Vom Präsidenten der selbsternannten «Familienpartei» hätte ich etwas anderes erwartet. Will die Gesellschaft den Start von Familien unterstützen, oder überlässt man dies einzelnen Firmen? Sie sprechen davon, dass nicht der Staat das vorschreiben soll. Ich meine: Die Frage, welche Unterstützung wir Familien geben, darf nicht privatisiert bleiben. Auch wenn es gute Patrons geben mag. Es braucht einen gesellschaftlichen Entscheid: Ja zu Familien, in denen Väter nach der Geburt eines Kindes eine Rolle spielen können. 20 Tage sind dabei sowieso ein Minimum. Und niemand verbietet einzelnen Unternehmen, darüber hinauszugehen!
Gerhard Pfister
20 Tage ein Minimum? Genau so fängt es an. Wenn Sie das als Minimum nehmen, sind die weiteren Forderungen ja schon vorgespurt. Abgesehen davon: Ich sehe nicht ein, was ein Vaterschaftsurlaub bringen soll. Natürlich ist es schön, wenn sich beide Elternteile um ihr Kind kümmern. Aber wichtiger wäre, man würde eine Flexibilisierung der Arbeitsplätze fördern, so dass Väter nicht nur für 20 Tage, sondern eben kontinuierlich bei der Betreuung und Erziehung der Kinder helfen. Das heisst: die Väter, die das wollen. Damit wäre Familien nachhaltiger geholfen. Die CVP steht auch hier ein für Werte und Wirtschaft. Wir schaffen einen Ausgleich zwischen Familieninteressen und den Herausforderungen, die heute auf die KMU zukommen. Der Mittelstand generell ist der CVP wichtig. Ich weiss, dass es in der CVP auch solche gibt, die Ihre Meinung teilen. Aber ich fände es langweilig, im Dialog mit Ihnen hier rein parteipolitisch zu argumentieren.
Balthasar Glättli
Vorab zur Klärung: Die Vaterschaftsurlaubs-Initiative will einen flexiblen Vaterschaftsurlaub. Die 20 Arbeitstage müssen einfach innerhalb eines Jahres bezogen werden. So könnte ein Vater zum Beispiel nach der Geburt zwei Wochen zu Hause bleiben und danach während 10 Wochen das Arbeitspensum um 20 Prozent reduzieren. Nun zu Ihrer Forderung, dass Väter kontinuierlich bei Betreuung und Erziehung helfen sollten: Natürlich bin ich da dabei! Sie sind es, die den Worten hier Taten folgen lassen müssen. Diese Session lehnten Sie ja, gegen die Empfehlung auch der CVP-Vertreter in der Rechtskommission, einen Vorstoss ab, der ein Recht auf Pensumsreduktion nach der Geburt verankern wollte. Der Bund hat gute Erfahrungen gemacht damit, dass nach der Geburt Väter und Mütter das Recht, aber nicht die Pflicht haben, ihren Beschäftigungsgrad um maximal 20 Prozent zu reduzieren. Die Initiantin war sogar bereit, kleinere Firmen von der Regel auszunehmen. Sie stimmten dennoch dagegen. Unverständlich. Es braucht Taten statt Worte für die Unterstützung von Vätern und Müttern! Mein Verdacht: Sie und ein Teil der CVP haben ein konservatives Rollenbild. Das teile ich nicht – aber das ist o. k., wenn Sie dazu stehen. Probleme habe ich dann, wenn dies versteckt wird hinter einer wirtschaftlichen oder wirtschaftsliberalen Argumentation.
Gerhard Pfister
Ihr Verdacht ist unbegründet. Es ist unliberal, wenn der Staat sagt, welches Familienbild zu fördern sei. Es ist konservativ, das Gute zu bewahren und das Neue den Beweis antreten zu lassen, dass es auch wirklich besser ist, bevor man es verbindlich macht. Es ist mir egal, wer wie zusammenlebt. Das Kindswohl ist entscheidend. Diese Verantwortung soll von Eltern und Arbeitgebern nicht an den Staat delegiert werden.
Balthasar Glättli
Sie vermischen die Ebenen. Für das Kindswohl sind die Eltern verantwortlich. Aber es darf nicht einzelnen Arbeitgebern überlassen bleiben, ob sie einen Vaterschaftsurlaub einführen oder nicht. Zu Recht ist das beim Mutterschaftsurlaub für alle gleich geregelt… Sind Sie tatsächlich so liberal, was die Familienbilder angeht? Dann würden Sie ja konsequenterweise der zivilen Ehe für alle zustimmen: Damit die Freiheit zweier Menschen, einen staatlich geschützten Vertrag einzugehen, nicht auf heterosexuelle Paare eingeschränkt wird. Das ist kein Zwang und keine staatliche Einmischung.
© NZZ am Sonntag; «Es ist unliberal, wenn der Staat sagt, welches Familienbild zu fördern sei»; 11.06.2017