PolitikKrise
Zwar rauchen noch die Trümmer des Finanzkapitalismus. Aber nichts deutet darauf hin, dass die wesentlichen Kräfte anderes im Sinne hätten, als die gleichen Hochhäuser wieder aufzubauen, am besten höher und gleissender denn zuvor. Der plötzlich so viel gerühmte Staat, dem die zweifelhafte Ehre zukam, in Zeiten der Krise auch von den ärgsten Verteidigern des Neoliberalismus um Hilfe gebeten zu werden, er wird selbst vorab auf die Erholung der Kurse hoffen, damit sich der Einkauf bei den grossen Finanzinstituten gelohnt haben wird und die Beteiligungen nach der Abwicklung der Krise nach und nach mit Erfolg weiter verkauft werden können.
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Auch wenn der Staat als Akteur wieder einmal ungewöhnlich stark sichtbar wurde, von einer Renaissance des Staates als autonomem Spieler kann man nicht sprechen. Einerseits weil der Staat resp. die Staaten in den letzten Tagen keinen politischen Willen zur Überwindung des grundlegenden Dispositivs einer von jeder ökologischen und ökonomischen Basis losgelösten Sphäre der Hochfinanz zeigten. Andererseits darum, weil gerade die Schaffung dieser Sphäre selbst das Resultat eines klaren politischen Willens war, der sich bloss hinter der angeblichen „Notwendigkeit“ einer rücksichtslosen Globalisierung versteckte. „Der Liberalismus ist selbst auch eine Reglementierung mit staatlichem Charakter. Durch Gesetze und Zwangsmassnahmen wird er eingeführt und aufrecht erhalten, er ist das Ergebnis eines Willens, der sich seiner eigenen Ziele bewusst ist, und nicht etwa der spontane, zwangsläufige Ausdruck ökonomischer Gesetze“ zitiert dazu in seinem lesenswerten Buch „Arbeit zwischen Misere und Utopie“ André Gorz treffend Antonio Gramsci.
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„Krise als Chance“ tönte es bislang vorab jenen entgegen, die den Fortschritt des Spätkapitalismus mit Lohndumping, Überstunden oder Arbeit auf Abruf – alles unter Drohung ihrer eigenen Freisetzung in die Arbeitslosigkeit – bezahlen durften. Und den „Human resources“, die effektiv vom Zuge des Fortschritts herunter gefallen waren, winkte im Vorbeifahren Schumpeters schöpferische Zerstörung neckisch zu. Heute ist Zeit, so meine ich, die wirklich schöpferische Zerstörung des Finanzkapitalismus zu fordern. Wir müssen nicht das Falsche besser managen. Sondern es braucht grundlegende internationale Schranken der Finanzsphäre. Neu sind solche Überlegungen nicht. NobelpreisträgerJames Tobin hat bereits zwei verschiedene Varianten seiner Tobin-Steuer zur Eindämmung rein spekulativer Finanztransaktionen vorgeschlagen. Parallel dazu gilt es auch, die gerade in den klassischen Wohlfahrtsstaaten durch die staatlich geförderten Renten geschaffene Doppelfigur des Lohnabhängigen/Zwangsaktionärs bewusster kritisch in den Blick zu nehmen.
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Wer die Abschaffung des Finanzkapitalismus fordert, betreibt keine weltfremde Träumerei. Dahinter steht keine „wirtschaftsfeindliche“ Grundhaltung. Sondern ein präziser Blick auf die reale Wirtschaft, die echten Mehrwert schafft, statt Geld mit Wetten zu machen.
Links-grüner Widerstand gegen die Fortführung von Jahrzehnten des Neoliberalismus ist nicht bloss ideologische Spiegelfechterei. Bei der Vorbereitung zur letzten Arena über die Finanzkrise stiess ich auf Verweise auf die 80er Jahre, die Zeit des Ebnerschen „Shareholder-Value“ Kapitalismus. Die Banken sollten damals auf eine Eigenkapital-Rendite von 15% hin getrimmt, die Dividende maximiert werden. Heute überkommen einen fast nostalgische Gefühle im Rückblick auf jene Zeit. Der Aktienkurs ganz allein ist massgeblicher Faktor, wesentlich höhere Eigenkapitalrenditen entscheiden über seinen Anstieg oder Fall. Wie Daniel Lampart, der SGB-Chefökonom, in seinem Blog ausführt, hat die UBS in den letzten Jahren zur Erhöhung der Eigenkapitalrendite gut 40 Milliarden Eigenkapital vernichtet, indem sie eigene Aktien aufgekaufte – jene 40 Milliarden, die sie nun in Singapur und bei den Golfstaaten wieder aufnehmen musste… Neben dem Zukauf von Marktanteilen zur Vergrösserung der Bilanzsumme war in den letzten Jahren die Eigenkapitalminderung bester Garant für eine maximierte Eigenkapitalrendite. Logisch: Je tiefer das Eigenkapital bei identischem Gewinn, desto höher die Eigenkapitalrendite.
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Dass „jede Hunderternote immer zuerst verdient werden muss“, wie mir FDP-Nationalrat Philipp Müller in der letzten Arena entgegenschleuderte, das weiss ich als ehemaliger Kleinunternehmer selbst – weiss aber auch, dass das grosse Geld mit blossen Kurswetten gemacht wird! Eine langjährige Entwicklung. Schon vor zehn Jahren machte der damals grösste europäische Konzern Siemens mehr als die Hälfte seines Gewinns nicht mit seinen Produkten sondern mit Spekulationen auf den Finanz- und Devisenmärkten.
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Was tun? Vorab die Augen auf tun. Dann erkennt man, dass Finanzkrise (wie übrigens die Umweltkrise) auf dem Ausblenden makroökonomischer Grundlagen basieren. Börsenkurse und Wirtschaftswachstum wurden von den realen Grundlagen abgekoppelt. Doch Kapital kann mit Wetten auf sich selbst keinen Mehrwert schaffen. Drum braucht es nicht bloss die Eliminierung der Spekulationssphäre, sondern parallel dazu in der realen Wirtschaft weniger, aber egalitärer verteiltes Wirtschaftswachstum. Konkret könnte dies mit einer existenzsichernden AHV als Schritt auf dem Weg zu einem garantierten Grundeinkommen für alle geschehen. Finanziert aus den Einlagen der heutigen Zweiten Säule? Das wäre eine Debatte wert. Jedenfalls könnten wir so aus der Finanzkrise wirklich etwas lernen!
Kolumne Grüne Gedanken zur Woche im P.S. vom 16.10.2008