Politik ist ein Spiel mit Erwartungen, ein «expectation game». Und funktioniert hier vielleicht nicht so anders wie die Börse. Nehmen wir den Milliardenverlust der UBS. Trotz dem Minus von 13 Milliarden reagierten Medien wie Börsenkurs nach der Ankündigung positiv. Der Grund: es war Schlimmeres befürchtet worden.
Genau so ist es in der Politik. Ich erinnere mich an den ersten Wahlgang der Zürcher Regierungsratsersatzwahlen nach damaligen Rücktritt von Regierungsrat Huber. Ruth Genner machte damals 15% der Stimmen. Allerdings hatten offensichtlich alle ein noch schlechteres Abschneiden der Grünen erwartet. Jedenfalls gelang es uns mit dem Hinweis, dass wir ja unseren Wähleranteil klar überschritten hätten, dies als Achtungs-Erfolg zu verkaufen.
Umgekehrt bei den Wahlen letzten Frühling in den Stadtrat, als Ruth Genner mit 60% gewählt wurden… kein «Hallo wie toll!», sondern viele Medien vermeldeten einfach Pflichterfüllung.
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Das Erwartungsspiel funktioniert manchmal aber auch auf die umgekehrte Weise: Weil etwas Tolles erwartet wird, wird auch alles in diesem positiven Licht gesehen. Eine gewisse Partei und ihr langjährigster Zürcher Kantonalparteipräsident konnten so jahrelang darauf zählen, dass ihre Aktivitäten immer als genial und taktisch geschickt benotet wurden. Wenn man auf dem Erfolgspfad ist, dann ist ein Positionswechsel geschickt. Das Abstrafen von Abweichlern klare und straffe Führung. Die Konzentration der Entscheidungen in einer Hand das Recht des politischen Genies, des Ausnahmekönners. Wir in anderen Parteien engagierten sind daran oft verzweifelt. Was soll man denn noch tun, wenn alles zu Gold wird, was der Gegner an die Hand nimmt…?
Unterdessen allerdings hat das Wetter gekehrt. Und ebenso unbarmherzig wird nun jeder Schritt hämisch kommentiert, jedes Stocken von C.B. – das früher ein Zeichen der volkstümlichen Rhetorik war – als Alterszuckung interpretiert. Und eine der genialsten Ideen, eine nach meinem Wissen absolute Novität im Schweizer Politbetrieb der letzten Jahre, nämlich die kontradiktorische Pressekonferenz, wird in phantasielosen Kommentaren mit «Selbstzerfleischung» übertitelt. Dabei ist dieser kontradiktorische Auftritt doch eigentlich die Überhöhung dessen, was eine Volkspartei sein soll. Alle Meinung werden von ihr, von der einen Partei abgedeckt. Das Meinungsspektrum wird abgedeckt durch verschieden Flügel. Bereits vor der erträumten Einführung der Schweizerischen Einheitsvolkspartei werden die anderen Parteien nur noch gebraucht als «Vorkoster» der öffentlichen Reaktion auf neue Vorschläge: wenn sie dann positives Echo haben, übernimmt ein Flügel der Einheitsvolkspartei den Vorstoss. So ist allenfalls später auch garantiert, dass sich parlamentarische Mehrheiten finden lassen…  weil die Vordenker, welche eigentlich zu Versuchsballonproduzenten reduziert wurden, ja zu ihren eigenen Ideen schlecht nein sagen können.
Nun allerdings hat eben das Wetter gekehrt. Und die Medien sprechen plötzlich von Selbstdemontage einer aus dem Tritt geratenen SVP. Immerhin das noch eine letzte versteckte Ehrerbietung. Weil sie doch der Partei selbst als einziger zugestehen, sich in die Krise zu stürzen: Was die politischen Gegner in Jahren nicht geschafft haben, macht sie nun selbst. Dieses Phänomen ist ja nicht ganz unbekannt. Denken Sie dabei zum Beispiel an eine linke Kleinpartei in Zürich, die am letzten Abstimmungssonntag einen wunderschönen Abstimmungssieg feiern durfte. Eine herzliche Gratulation noch, das wurde in den Grünen Gedanken der letzten Woche vergessen zu sagen!
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Einer jener Politiker, die ganz unverschämt davon profitieren, dass man gar nichts von ihm erwartet, ist der CVP Regierungsrat Hans Hollenstein. Seine Selbst-Positionierung nach der Kirchenbesetzung des Bleiberechtskollektivs war ja eine ganz einfache und durchsichtige: Ich bin für nichts zuständig. Und unterdessen hat er das gleiche Spiel weiter gespielt. Das heisst, abgelehnte Härtefallgesuche nicht wie versprochen neu beurteilt, sondern als Rekurs behandelt und an den Regierungsrat weitergeleitet. Der Vorteil: Er selbst muss dann in den Ausstand treten. Und hat einmal mehr die Hände in Unschuld gewaschen. Man kann sich jetzt schon wundern, mit welchen Attributen Hollenstein dann bei den nächsten Wahlen antreten wird. Mit seiner Leistung jedenfalls wird das wenig zu tun haben. Bloss in der Bush-Disziplin hat sich Hollenstein als fähig erwiesen: sich rasch wegducken, wenn was geflogen kommt, das eigentlich für einen selbst bestimmt wäre.

Markus Arnold (CVP)
Markus Arnold (CVP)

Vielleicht ist das ja auch in Tat und Wahrheit keine Bush, sondern ein wenig eine CVP Disziplin. CVP Präsident Markus Arnold – politisch Interessierten bekannt als moralisch unterfütterter SVP Basher, der immer wieder Nazi-Vergleiche bemühte – hat, um nochmals auf die Auseinandersetzung um die Sans-Papiers zurück zu kommen, bislang keinen sichtbaren Beweis erbracht, dass sein Einsatz für Menschlichkeit und Menschenwürde mehr als werktägliche mediale Sonntagspredigten waren. Untauglich offenbar um seinen eigenen Regierungsrat daran zu messen. Oder die Reaktionen seiner eigenen Partei. Wir können jedenfalls gespannt sein auf die Diskussion verschiedener Parteienvertreter in der St. Jakobskirche, die dort am Freitagabend, den 19. März stattfinden wird…
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Auch ein Spiel mit den Erwartungen ist schliesslich vorprogrammiert für den zweiten Wahlgang der Stapine-Wahl. Während einerseits sich die SVP-Rennleitung wieder mal – in verständlichem Ärger über die freisinnigen WählerInnen – zur ersten Wahlhelferin von Corine Mauch aufzuschwingen versucht, ist umgekehrt zu befürchten, dass bei dieser Ausgangslage gerade Corine Mauchs WählerInnen zuhause bleiben. In der Meinung: Der Puck ist schon gelaufen…