Immer wieder erhalte ich interessante Fragen von Bürgerinnen und Bürgern. Manche Antworten mögen auch ein breiteres Publikum interessieren. Darum will ich künftig solche Antworten hier veröffentlichen.

Können Sie mir plausibel erklären, warum ihr Parlamentarier eigentlich für anstehende Bundesratswahlen Hearings veranstalten müsst? Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen sollten doch die Meinung und die Gesinnung der einzelnen Ratsmitglieder bereits genügend kennen. Argumente und Auftritte der Bewerber im Rat sind doch sicher verbindlicher als «Lippenbekenntnisse» bei einem einzelnen Gespräch. Oder hört ihr den Wortmeldungen der einzelnen Ratsmitglieder währen eine Debatte gar nicht zu?

Hier meine Antwort auf die Zuschrift eines Bürgers aus dem Kanton Zürich

Lieber Herr X
Danke für Ihre Fragen. Gerne antworte ich Ihnen:
Die Wahl findet ja durch die vereinigte Bundesversammlung statt. Also von National- und Ständerät. Und Kandidierende sind National- und Ständerätinnen und -räte. Diese beiden Räte tagen zur gleichen Zeit, und darum kennt selbst jemand, der wie ich als Fraktionschef sehr häufig den Debatten im Nationalratssaal folgt, die Auftritte der Mitglieder der jeweils anderen Kammer nicht einfach von der Ratspräsenz her.
Zudem sind oft auch Regierungsrätinnen und Regierungsräte im Rennen, bei der dieses Mal [also 2018] CVP Frau Zgraggen, bei der FDP Christian Amsler. Diese kennt man natürlich viel schlechter in Bundesbern, zum Teil hat man den Namen sogar das erste Mal überhaupt erst gehört im Zusammenhang mit den Bundesratswahlen. Da ist es wohl sinnvoll, ein „Bewerbungsgespräch“ zu machen!
Schliesslich: auch bei denjenigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus dem eigenen Rat, die man kennt, ist eine Fragerunde zur Bundesratswahl sinnvoll. Denn im Rat ist es ja die Aufgabe der Parteienvertreterinnen und -vertreter, besonders auch ihre WählerInnen zu vertreten. Als Bundesrätin oder Bundesrat dagegen gilt es zwar, den eigenen Wertekompass zu behalten, aber auch Kompromisse zu verteidigen, die man vielleicht selbst nicht so gewollt hätte. Das ist eine neue, eine andere Rolle. Auch muss man im Bundesrat ein Departement führen, etwas, was definitiv nichts mit der Arbeit im Parlament zu tun hat. Darum finde ich es das Mindeste, dass man auch Kandidierende, die man gut kennt, auf diesen Rollenwechsel anspricht und sich anhört, was sie dazu zu sagen haben. Immerhin bleibt dann jemand im Bundesrat üblicherweise für acht oder zwölf Jahre oder sogar länger gewählt. Es ist also nicht einfach ein unwichtiger Entscheid.
Zudem sind zumindest im Nationalrat die Redezeiten sehr strikt vergeben. Üblicherweise sprechen darum Nationalrätinnen und Nationalräte nur zu Geschäften, die in ihrer Kommission behandelt werden. Im Bundesrat sind sie aber dann möglicherweise mit ganz anderen Themen befasst. So kenne ich selbstverständlich (um ein aktuelles Beispiel zu nehmen) Elisabeth Schneider-Schneiter als Aussenpolitikerin. Sie ist ja aktuell auch Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission und hat viel zu diesen Themen gesprochen, sowohl im Rat, als auch in Interviews in Zeitungen. Was sie aber persönlich zum Beispiel zum Klimaschutz oder zum CO2-Gesetz oder zum Naturschutz und zur Biodiversität oder zur Verkehrspolitik meint, dass kann ich aus ihren Nationalratsvoten nicht schliessen. Kein einziges ihrer 73 Voten im Rat war zu irgendeinem dieser für die Grünen sehr wichtigen Themen. Das ist nicht der Fehler von Frau Schneider-Schneiter, sondern schlicht eine Folge davon, dass sie bisher vor allem als Aussenpolitikerin engagiert war. Es ist aber wahrscheinlich, dass sie nach einer allfälligen Wahl nicht das Aussendepartement erhalten würde. Darum ist es wichtig, ihre Haltung auch in anderen Fragen zu kennen!
Ich hoffe, ich konnte Ihnen erläutern, warum ein „Bewerbungsgespräch“ im Rahmen eines Hearings durchaus sinnvoll sein kann?
Mit freundlichen Grüssen
Balthasar Glättli