BundesRatlos
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Weil guten Vorsätzen aber ein schlechter Ruf anhaftet und der Rückblick diese Woche besondere Freude macht, möchte ich mich ganz ihm widmen. Zuerst mit einem nicht mehr ganz geheimen aber umso dringenderen Fernseh-Tipp, gerade weil das PS eher die Zeitung der Radiohörenden ist. Wer einen gehörigen Schock darüber erleben will, welche Haltung während vier Jahren im Bundesrat vertreten war, soll sich den Film des Schweizer Fernsehens in der Reihe Reporter ansehen über den Bruder und geistlichen Beistand unseres Noch-Bundesrats. Ausgestrahlt wurde er am 5. Dezember, weiterhin zu finden ist er im Internet unter www.sf.tv (rechts oben ins Suchfeld die Stichworte «Reporter Betrachtungen» eingeben). Ich denke, dass dieser halbstündige Beitrag durchaus für einige ParlamentarierInnen den Ausschlag gegeben hat zur unerwarteten Stimmabgabe.
Möglicherweise wird der Hauptdarsteller, pensionierte Pfarrer und Noch-Bundesratsbruder Gerhard als etwas alters-wirr entschuldigt werden. Ich fürchte: er ist klar im Kopfe. Geradezu schockiert war ich, als ich im Nachgang seinen Bruder wieder hörte – bloss kraftloses Echo! Die ständige Rede vom eigenen «Auftrag» und die Schilderung politischer als kriegerischer Auseinandersetzungen. Das hämisch überhebliche Auslachen von Gegnern und eigenem Parteipräsident. Und die Aufopferung im Namen der Freiheit, «das zu wollen, was man muss». Wenn man auch dieses Letzte als Selbstaufopferung an das Vernünftige lesen kann, ich lese es anders.
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Denn was ist Freiheit! Dass man den Willen zur Selbstverantwortlichkeit hat. Dass man gegen Mühsal, Härte, Entbehrung, selbst gegen das Leben gleichgültiger wird. Dass man bereit ist, seiner Sache Menschen zu opfern, sich selber nicht abgerechnet. Freiheit bedeutet, dass die männlichen, die kriegs- und siegsfrohen Instinkte die Herrschaft haben über andre Instinkte, zum Beispiel über die des «Glücks». Der freigewordne Mensch, um wie viel mehr der freigewordne Geist, tritt mit Füssen auf die verächtliche Art von Wohlbefinden, von dem Krämer, Christen, Kühe, Weiber, Engländer und andre Demokraten träumen. Der freie Mensch ist Krieger.
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So hat es Nietzsche formuliert, in der «Götzen-Dämmerung». So ist’s bei mir angekommen beim Anschauen dieses aufschlussreichen kleinen Dokumentarfilms. Zugegeben: Wille zur Macht erachte auch ich als zwingend zu einem guten Politiker gehörend. Und Strategien können mich durchaus eben so begeistern wie inhaltliche Debatten. Und Nietzsche habe ich nie nur mit Abscheu gelesen, sondern durchaus auch mit viel Faszination. Gerade aber wenn man auch den Willen zur Macht respektiert, wird die Selbst- und Fremdinszenierung des angeblichen «Überpolitikers» so lächerlich und armselig. Wenn derjenige, der immer das Lob des Stärkeren gesungen hat, selbst unterliegt und darob die Fassung verliert, wenn diejenige Partei, die ihr momentan höchstes Ziel erreicht hat, aus Sieges-Trunkenheit stolpert, wenn diejenigen, die sich von den Medien immer als geniale Strategen feiern liessen, keinen fertigen Plan B aus der Schublade ziehen können, sondern den angekündigten Gang in die brutalst mögliche Opposition mit steinernen Gesichtern, Knatsch und Schimpftiraden inszenieren: Wenn all dies und alles auf einmal passiert, so ist sicher kein Mitleid am Platz, und von der heimlichen Bewunderung bleibt nur ein verwundertes Kopfschütteln. Wovor hatten wir all die Zeit Angst und Respekt, was haben wir da vielleicht heimlich sogar manchmal auch bewundert?
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Die Ratlosigkeit der SVP wird bald wieder hinter plumpen Forderungen von rechts-aussen verschwinden. Die parteiinterne Opposition ist als Steinbock gesprungen und als Zottel gelandet. Und der alte Führer wird wohl der neue Partei-Präsident sein. Dass Trötzeleien, Parlamentsbeschimpfungen («Lumperei»), Eigenlob und Selbstbeweihräucherung kaum das richtige Fundament für diese erneute Karriere als Oppositionsleader bilden, das hat schneller als seine Entourage und seine Frau der abgewählte Bundesrat selbst gemerkt. Ob er allerdings mit seiner kleinen und im selben Atemzug relativierten Entschuldigung in den Abschiedsworten an das Parlament am Dienstag bereits ein genügend grosses Fundament legt, wage ich zu bezweifeln. «Ich scheide nicht in Bitterkeit» fügte er noch hinzu. Hätte er das Offensichtliche doch zugegeben: es hätte ihn glaubwürdiger und menschlicher gemacht.