Schweizer Fundamentalisten
Eine Mehrheit hat entschieden. Sie hat am 13. Juni 2010 mit 62 Prozent den Gegenvorschlag zur Initiative „Kinderbetreuung JA“ angenommen. Damit wurde jeder Gemeinde vorgegeben, ein bedarfsgerechtes ausserhäusliches Kinderbetreuungs-Angebot einzurichten. Ein Kompromiss war das, und breit getragen.
Keine neun Monate später versuchte die SVP nun im Kantonsrat, diesen Paragraph wieder aus dem Jugendhilfegesetz hinauszukippen. Das zeugt von einem bedenklichen Demokratieverständnis derjenigen, die sonst Mehrheitsentscheide für so heilig halten, dass man befürchten muss, sie würden einer Diktatur der Mehrheit über die Minderheit kein Argument entgegensetzen wollen!
* * *
Der letzte Dienstagnachmittag war spannend. Debatte an der Kantonsschule Bülach über Fragen von MittelschülerInnen, die sie im Rahmen eines Simulationsspiels entworfen hatten. Erschreckend allerdings mein Gegenpart, Kantonsrat Claudio Schmid. Die Kritik, es sei bei der soliden bürgerlichen Mehrheit in Kantons- und Regierungsrat scheinheilig, über die mangelnde Ausgabendisziplin zu jammern, konterte er überzeugt: „Es gibt in der Schweiz nur zwei Parteien. Die SVP – und die anderen.“ Solange die SVP keine absolute Mehrheit hätte, könne sie auch für ihr Handeln keine Verantwortung tragen.
Erst im Rückblick wurde mir bewusst, wie krass diese Haltung ist, wie selbstgerecht, aber vor allem: wie undemokratisch und im Kern fundamentalistisch. Denn das ist doch das eigentliche Kennzeichen des Fundamentalismus: Nicht dass er inhaltlich bestimmte, zugespitzte Haltungen einnimmt, klare Positionen. Nein. Das Wesentliche an jedem Fundamentalismus ist doch, dass es für ihn nur zweierlei Haltungen und zweierlei Menschen gibt. Rechtgläubige. Und Heiden.
Und so muss ich hier auch von meiner persönlichen Befindlichkeit schreiben. Von meiner Angst. Ich liebe die politische Auseinandersetzung. Den Wettbewerb. Den Widerstreit. Auch verlieren habe ich gelernt. Aber eins macht mir Angst: Dass diese einzige Partei, die so fundamentalistisch ist, dass sie „Schweizer wählen SVP“ plakatiert und damit alle anderen Haltungen als unschweizerisch verdammt – dass diese zutiefst undemokratische Partei einmal demokratisch eine Mehrheit erlangen könnte.
Balthasar Glättli (Erschienen als Grüne Gedanken zur Woche am 10.2.2011 im P.S.)