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Gletscherinitiative, «Solaroffensive» und «Mantelerlass»: Ein Überblick

  • Im Zentrum der Herbstsessionen 2022 von National- und Ständerat stand ganz klar die Energie- und Klimapolitik: Klimaschutz aber auch Versorgungssicherheit. Dabei hat das Parlament durchaus Nägel mit Köpfen gemacht.
  • In der Eile wurden viele gut, daneben allerdings auch sehr problematische Entscheide gefällt. Die gleichen Kräfte, welche jahrelang viel zu zögerlich waren beim Ausbau der erneuerbaren Energien waren nun bereit, für den raschen Ausbau fast alle Barrieren für Naturschutz und Rechtsstaatlichkeit in Frage zu stellen.
  • Der grosse Elefant im Raum sind das riesige Potential für Effizienzsteigerung und der Kampf gegen die Energieverschwendung. Sie haben es weiterhin in der Politik viel schwieriger als auch teils unrealistische Ausbaupläne. Obwohl noch immer die nicht verbrauchte Energie die günstigste Energie ist, mit den wenigsten Zielkonflikten.

Energiepolitisch war so viel los in der Herbstsession 2022, dass es nicht einfach ist, sich einen Überblick zu verschaffen. Hier ein Versuch dazu – ohne den Anspruch, sämtliche Details der verschiedenen Erlasse zu rekapitulieren.

Der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative

Worum geht es? Das Parlament hat den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative bereinigt und als «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit» verabschiedet. Das Komitee hat die Initiative daraufhin bedingt zurückgezogen. Die SVP ihrerseits hat bereits das Referendum angekündigt, womit die Stimmberechtigten – wohl im Juni 2023 – über den Gegenvorschlag befinden dürften. Im Kern beschloss das Parlament:

  • Das Netto-Null-Klimaziel bis 2050 aus dem Pariser Abkommen wird ins Gesetz geschrieben und durch CO2-Reduktionsziele bzw. Absenkpfade konkretisiert. So müssen die CO2-Emissionen bis 2040 gegenüber dem Jahr 1990 um 75% zurückgehen, wobei die Reduktion vorrangig im Inland erzielt werden muss. Der Rest muss der Atmosphäre durch so genannte Negativemissionen entzogen werden (Bereitstellung von CO2- Speichern im In- und Ausland).
  • Dieser Absenkpfade müssen branchenspezifisch realisiert werden,  auf 2040 bzw. 2050 sind etappierte Reduktionsziele in den Sektoren Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft vorgeschrieben.
  • Innovative Firmen können von einem Förderprogramm für neue Technologien im Umfang von 1,2 Milliarden Franken profitieren
  • Ein Sonderprogram beschleunigt den Ersatz von fossilen Heizungsanlagen, von elektrischen Widerstandsheizungen und Warmwasseraufbereitungsanlagen und fördert Effizienzmassnahmen – innert 10 Jahre mit insgesamt 2 Milliarden Franken (200 Millionen pro Jahr).
  • Schliesslich wird das Ziel formuliert, auch die Finanzflüsse klimaverträglich auszurichten.

Wie ist der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative aus Sicht der GRÜNEN zu bewerten? POSITIV!

Der indirekte Gegenvorschlag ist ein grosser Erfolg der Initiant:innen der Gletscherinitiative, zu denen ich auch zähle. Als Gesetz wird er – nach der in Aussicht stehenden Volksabstimmung – unmittelbar wirksam. Die Schweiz schreibt sich damit nicht nur ambitionierte Klimaziele und konkrete CO2-Absenkpfade vor, die vorrangig im Inland zu erzielen sind. Zudem investiert der Bund ganz konkret insgesamt über 3 Milliarden Franken in Innovationsförderung, Heizungsersatz und Effizienz. Der Ersatz von Elektrowiderstandsheizungen trägt dabei auch zur Versorgungssicherheit im Winter bei, weil diese Heizungen allein heute 2 TWh im Winter verschlingen – das entspricht in etwa der aktuellen “Stromlücke”.

Bei den Finanzflüssen enthält das Gesetz dagegen lediglich eine Absichtserklärung; in diesem Bereich bleibt eine Konkretisierung durch weitere Gesetze dringend nötig.

Die dringliche Winterstromvorlage samt Solaroffensive

Worum geht es? Die in den Medien viel zitierte «Solaroffensive» ist Teil eines Gesetzes «über dringliche Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter» gemeint, auf welches sich National- und Ständerat nach einigen Kunstgriffen und intensiven Debatten geeinigt haben. Als dringliches Gesetz ist es bereits in Kraft getreten. Es ist bis Ende 2025 befristet. Seine Kernpunkte sind:

  • Grosse Solaranlagen in den Bergen – im Blick sind Gondo und Grengiols – sollen erleichtert bewilligt und mit Bundesbeiträgen aus dem Netzzuschlag unterstützt werden. Die Versorgungssicherheit hat dabei grundsätzlich Vorrang vor Natur- und Heimatschutzinteressen (71 lit.a Energiegesetz). Immerhin sah das Parlament zuletzt davon ab, auch den Schutz nationaler Biotope vollkommen ausser Acht zu lassen und die Verpflichtung zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung gänzlich abzuschaffen.
  • In einer Hauruck-Übung wurde zuletzt auch die Erhöhung der Grimsel-Staumauer in die Vorlage gepackt (Art. 71, lit.b Energiegesetz).
  • Für bestehende und neue Gebäude und Infrastrukturen des Bundes selbst gilt eine Solarpflicht bis 2030 (Art. 45 lit. B Energiegesetz). Zudem gilt neu eine Solarpflicht für Neubauten – entgegen der grünen Forderung, die im Ständerat noch eine Mehrheit gefunden hatte, allerdings nur für Flächen von mehr als 300 Quadratmetern ( 45 lit. A Energiegesetz). Betroffen sind somit nur rund 30% der privaten Neubauten. 

Wie ist die «Solaroffensive» zu bewerten? DURCHZOGEN!

Grundsätzlich ist zu begrüssen, dass die Schweiz endlich stärker auf die Solarenergie setzt. Wenig erwähnt aber sicher am konkretesten wirksam wird die Solarpflicht für alle Bundes-Infrastruktur. Auch Freiluftanlagen in den Alpen sind grundsätzlich sinnvoll. Das dringliche Gesetz ist aber sowohl aus Naturschutz- als auch verfassungsrechtlichen Gründen problematisch und sollte eine Ausnahme bleiben. 

Der «Mantelerlass» für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien

Worum geht es? Als «Mantelerlass» wird das längerfristig angelegte «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» bezeichnet, welches verschiedene Änderungen im Energie– und im Stromversorgungsgesetz bündelt. Das Gesetz ist bisher erst vom Ständerat behandelt worden; es geht nun an den Nationalrat, wird dort bis Ende November in der Umweltkommission vorberaten und kommt voraussichtlich in der Wintersession 2022 in den Nationalrat.

Der ständerätliche Entwurf umfasst die folgenden Kernpunkte:

  • Für den Ausbau der Wasserkraft und der anderen erneuerbaren Energien werden für die Jahre 2035 und 2050 verbindliche Zielwerte (Produktionskapazität in Terawattstunden). festgesetzt. Auch dafür soll ein «nationales Interesse» ins Gesetz geschrieben, der Biotopschutz aufgeweicht und Investitionsbeiträge des Bundes ausbezahlt werden.
  • Auch betr. der Senkung des Pro-Kopf-Verbrauchs an Elektrizität resp. Energie sieht der Gesetzesvorschlag für die Jahre 2035 resp. 2050 verbindliche Zielwerte vor (minus 43 resp. minus 50%). Allerdings hat der Ständerat keine konkreten Massnahmen ins Gesetz geschrieben, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen.

Wie ist der «Mantelerlass» im ständerätlichen Entwurf zu bewerten? KLARER VERBESSERUNGSBEDARF

Die Festlegung konkreter und ambitionierter Zielwerte ist grundsätzlich wichtig und richtig. Umso wichtiger wäre es, auch und gerade im Bereich der Energieeffizienz wirksame, konkrete Massnahmen ins Gesetz zu schreiben, wie sie z.B. das Bundesamt für Energie vorschlägt. Deren sofortige Umsetzung fordere ich in einer in dieser Session eingereichten Motion.

Die Aufweichung des Schutzes von Biotopen und von Wasser- und Zugvogelreservaten von nationaler Bedeutung, in denen ein Drittel der geschützten Arten lebt, ist zudem hoch problematisch. Die Fraktion der GRÜNEN wir sich bei der Behandlung der Vorlage im Nationalrat an ihrem Positionspapier für den «natur- und landschaftsschonenden Ausbau der Erneuerbaren» orientieren.