SVP-Kampagne gegen Klimaschutzgesetz im Faktencheck
In Kürze
Am 18. Juni 2023 stimmen wir ab über das Klimaschutzgesetz. Einige Argumente gegen die «Hirnfresser-Kampagne» der SVP
Der Ingenieur Matthias Meyer hat in Zusammenhang mit dem unsäglichen Kampf der SVP gegen die Chimäre eines sogenannten «Stromfresser-Gesetzes» den treffenden Ausdruck «Hirnfresser-Kampagne» geprägt. Die Hirnfresser-Kampagne ist auch ein beispielloser Rückwärtssalto – aus rein wahltaktischen Gründen ist die SVP gegen eine Lösung, die sie im Kanton Bern noch explizit unterstützte. Worum es geht, hat Parteipräsident Chiesa im SVP-Parteiblatt in dieser Klarheit wohl unbeabsichtigt offengelegt: ”Stromfresser-Gesetz versenken – Schwung für die Wahlen holen”. Die Sache ist offenbar Randnotiz. Kein Wunder: Die Argumente der ”Hirnfresser-Kampagne” halten keinem Faktencheck stand. Ein paar Beispiele:
Fake News 1 – Strommangel und Energiekrise: Die SVP malt – wen wunderts – das Schreckgespenst eines Blackouts an die Wand. Dabei schafft das Klimaschutzgesetz Planungssicherheit: Für den Ausbau der Erneuerbaren – so wie es das Parlament plant. Und das Klimaschutzgesetz ist auch ein Stromsparer-Gesetz: Es unterstützt den Ersatz von stromfressenden, veralteten Elektroheizungen und Elektroboilern durch effiziente, klimafreundliche Technologien und reduziert so die Stromverschwendung jedes Jahr um 4 TWh, mehr als die Hälfte davon im Winter. Übrigens wird allein dank der Parlamentarischen Initiative Girod in den nächsten Jahren die Hälfte der AKW-Produktion an neuen Erneuerbaren zugebaut. Und die nächsten Ausbauschritte werden bereits diskutiert. Zudem liesse sich allein durch Effizienzsteigerung rund ein Drittel des Energieverbrauchs einsparen. Das entspricht der gesamten Produktion aller AKW. Schliesslich können wir schon heute den Winter gut und günstig überbrücken, wenn wir die Stauseen als Alpenbatterien klug nutzen.
Fake News 2 – Vollmachten des Bundesrats für “extreme” Massnahmen, Verbote und Vorschriften? Völlig aus der Luft gegriffen: Das Gesetz enthält keine besonderen Vollmachten des Bundesrates, über Massnahmen des Bundes entscheidet wie gehabt das Parlament (Art. 11 Klimaschutzgesetz). Und aktuell setzt das Gesetz weder auf Verbote noch auf Lenkungsabgaben, sondern auf die Förderung innovativer Technologien und ein Impulsprogramm für den Ersatz von Öl-, Gas- und Elektrowiderstandheizungen. Investitionen von insgesamt 3.2 Milliarden – ein Bruchteil dessen, was auf uns zukommt, wenn wir nichts tun.
Fake News 3 – Explodierende Stromkosten. Mehrkosten von CHF 6’600.- pro Kopf und Jahr? Die SVP beruft sich dabei irreführend auf eine ETH-Studie und reisst eine Zahl komplett aus dem Zusammenhang: Die Zahl bezieht sich nicht auf das Klimaschutzgesetz, sondern das Extremszenario einer umfassenden Energieautarkie der Schweiz, ohne Energie-Importe und Exporte. Eine grobe Irreführung. Wenn schon belegt die Studie, dass eines unbezahlbar teuer ist: der SVP-Isolationismus. Tatsache ist: Die Kosten der erneuerbaren Energietechniken sind in den letzten Jahren rapide gefallen. In den meisten Fällen sind Solaranlagen und Windturbinen heute die billigste Art, Strom zu produzieren. Noch deutlicher wird der Kostenvorteil der Erneuerbaren, wenn man vermiedene Klimaschäden berücksichtigt. Der Marktpreis für Strom ist heute eng an den Gaspreis gekoppelt. Hauptgrund für die gegenwärtig hohen Strompreise ist die Situation auf dem Gasmarkt.
Fake News 4 – Wir können nichts tun. Last but not least das dümmste aller «Argumente»: die kleine Schweiz habe allein keinen Einfluss aufs Weltklima – darum sei Nichtstun ok. Wir 9 Millionen, die wir in einem kleinen (reichen) Land leben, zählen also nicht. Die Bewohner:innen einer 9-Millionen-Stadt in China, Indien oder Nigeria hingegen schon. Mit derselben Argumentation könnte sich jede:r Einzelne um alles foutieren: Steuern zahlen, Billette lösen, an Abstimmungen teilnehmen etc., etc. Genau darum sind ja der Pariser Klimavertrag und seine Umsetzung so wichtig: weil er ALLE Länder mit in die Pflicht nimmt und so das Dilemma löst, das jedes Land auf ein anderes zeigt, statt selbst zu handeln.
Zudem: gerade weil wir in der Schweiz einen immer grösseren Teil unseres Klima- und überhaupt unseres ökologischen Fussabdrucks importieren, müssen wir umso mehr dort vorwärts machen, wo wir und nur wir ganz konkret einen Unterschied machen können. Im Verkehr und Gebäudebereich bei uns (Letzteres ist im Zentrum des Klimaschutzgesetzes). Und bei der Förderung der grünen Innovation, die nicht nur hier, sondern in der ganzen Welt den Klimaschutz voranbringen kann.
P.S.: Heute ist die Schweiz beim Klimaschutz übrigens überhaupt nicht Vorbild. Sondern im Hintertreffen im Vergleich zu unseren Nachbarn in der Europäischen Union!