Liebe GRÜNE

Wir GRÜNE wollen gemeinsam mit der Operation Libero eine neue europäische Initiative starten – ihr habt vielleicht meine Ankündigung letzten Sonntag in den Medien gelesen.

Ich bin weder ein «EU-Turbo» noch ein Gegner der europäischen Integration, weder egoistischer Schweizer noch naiver Europäer. Aber für mich ist mit jedem Monat meiner Präsidentschaft klarer geworden: Für die grossen Projekte, die vor uns liegen, ist eine starke und stabile Beziehung zur Europäischen Union unerlässlich. Die Bekämpfung des Klimawandels, der Schutz der Biodiversität, eine Digitalisierung zum Wohl der Menschen, kurz: die Herausforderungen der notwendigen ökologischen und energetischen Wende, gehen über unsere Landesgrenzen hinaus. Unsere Nachbar*innen sind unser Kapital bei der Suche nach Lösungen. Die Frage der «Souveränität» stellt sich heute ganz anders, als sie von den nationalistischen Rechten gestellt wird: Um unsere Freiheit, um Zukunftsperspektiven zu erhalten – als Individuum und als demokratische Gesellschaft – brauchen wir eine starke und konsequente Antwort auf die Doppelkrise der Klimaerhitzung und des Artensterbens. Ohne sie bleibt alles Gerede von Souveränität hohl.

Der Bundesrat und ein Grossteil der Bundesratsparteien wollen – aus Angst vor der Zerreissprobe – der europäischen Frage aus dem Weg gehen. Wir GRÜNE übernehmen Verantwortung und bringen Vorschläge, gerade dort, wo die Regierung versagt.

Im Gegensatz zu allen bisherigen Initiativen zu Europa wollen wir keine reine institutionelle Debatte oder einfach den Beitritt zur EU oder zum EWR fordern. Wir wollen mit unserer Initiative vielmehr eine neue europäische Debatte anstossen, die nicht länger auf den falschen Voraussetzungen der SVP beruht. Die Nationalkonservativen glauben, dass die politische Isolation die Schweiz nicht nur vor den Gefahren der Globalisierung schützt, sondern den Unternehmen gleichzeitig die wirtschaftlichen Vorteile der Globalisierung bietet. Und dass die Abschottung notwendig ist, um eine gemeinsame und überlegene Schweizer Identität zu schaffen. Beides ist falsch. Mit der Europa-Initiative wollen wir endlich eine werteorientierte Debatte führen über den Platz der Schweiz in Europa. Über die Chancen, die sich durch eine verstärkte Zusammenarbeit ergeben. Wir stellen der rechten Sehnsucht nach Nostalgie und Isolation eine Vision entgegen. Eine Vision, in der die Schweiz – als Teil eines europäischen Projekts für eine friedlichere Welt, die in der Klimakrise die Kurve kriegt – das Beste noch vor sich hat.

Unser Vorschlag will den Paradigmenwechsel: Wir wollen, dass unser Land die Europapolitik in seiner Aussenpolitik verankert. Dass es die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union als Lösung für die Herausforderungen begreift, vor denen wir stehen. Dass wir uns trauen, zur europäischen Integration beizutragen, anstatt unter ihr zu leiden.

Diese Debatte zur europäischen Politik wird Thema sein an der Delegiertenversammlung vom 15. Januar 2022.
[UPDATE: Hier die am 15. Januar 2022 von den Delegierten verabschiedete Resolution der GRÜNEN Schweiz]

Menschenrechte statt Grenzgewalt
Ebenfalls eine Frage der europäischen Politik ist das Referendum gegen Frontex, das wir GRÜNE unterstützen. Unser Land darf die Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen der Europäischen Union nicht mehr akzeptieren und mit immer höheren finanziellen Beiträgen unterstützen. Frontex spielt eine traurige Rolle als unkontrollierter Grenzschutz. Die Schweiz ist mit dabei, mitverantwortlich und finanziert gezielte Menschenrechtsverletzungen mit. Dabei müsste sich die Schweiz als Hüterin der Genfer Flüchtlingskonvention dafür einsetzen, dass Flüchtende legal ein Asylgesuch stellen können und dass dieses ernsthaft geprüft wird. Die Europäische Union darf nicht eine Festung mit immer höheren Mauern werden, wenn sie ernsthaft eine Kraft zur Stärkung der Menschenrechte in der Welt bleiben will.

Das Frontex-Referendum ist also nicht antieuropäisch – und gefährdet auch keine anderen bilateralen Abkommen. Das Referendum sendet aber ein starkes Signal. Ein solches braucht es, damit die offizielle Schweiz ein menschenwürdigeres Schengen-Abkommen aushandelt. Weiter stützen wir mit unserer Kritik an Frontex die Arbeit unserer grünen Freundinnen und Freunde im Europäischen Parlament. Ihnen gelang es, die Aufstockung des EU-Haushalts zu blockieren, bis endlich ein wirksamer Kontrollmechanismus gegen Menschenrechtsverletzungen von Frontex steht. In ihrer Resolution zur Zukunft Europas vom Mai 2021 haben die europäischen GRÜNEN deutlich gemacht, dass eine «Festung Europa» mit wachsenden Mauern und Überwachungstechnik nicht das Europa ist, das wir GRÜNE wollen.

Für ein Europa, das die ökologische Transformation meistert und die Grundrechte hochhält
Wir GRÜNE, hier in der Schweiz und auch in den Ländern der EU, kämpfen für ein Europa, dessen Stärke auf der Solidarität und der Achtung der Grundrechte beruht, und auf der gemeinsamen Entschlossenheit, die ökologische Transformation und den Kampf um Klimagerechtigkeit voranzubringen.

Mit «Fit for 55», dem Green Deal der Europäischen Kommission, schlägt diese vor, was die aktuelle Schweizer Regierung nicht vorzuschlagen wagt. Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren bis 2035. Grosse Investitionen in die Transformation, damit heute die Richtungsentscheide für ein grüneres Morgen fallen.

Wie geht unser Weg weiter? Die Delegierten der GRÜNEN Schweiz und weitere grüne Aktivist*innen treffen sich am 13. November 2021 nachmittags nach unserer Delegiertenversammlung, um über den ökologischen Wandel in der Schweiz zu debattieren. Der aktuelle Bundesrat hat die Dringlichkeit des Klimanotstand nicht erkannt, er ignoriert die alltägliche Biodiversitätskatastrophe und wagt es trotz der wohlklingenden Versprechen des Bundespräsidenten an der aktuellen Klimakonferenz COP 26 nicht, ein echtes Programm zu lancieren, um die Schweiz rasch voranzubringen in Sachen Umweltschutz, Biodiversität und Förderung der Klimagerechtigkeit.

Als grösste Oppositionspartei in der Schweiz stehen wir in der Verantwortung. Wir zeigen auf, dass eine ökologische Wende in der Schweiz Zukunftsperspektiven schafft, dass wir Beziehungen zur Europäischen Union aufbauen können, die unseren Einfluss stärken, anstatt in der ständigen Angst zu leben, unterjocht zu werden.

Als GRÜNE haben wir keine Angst vor Veränderung, sondern stehen ein für eine ökologisch gerechte Zukunft – und den Mut, sie zu gestalten!

Schön, dass du dabei bist.

Herzliche Grüsse

Balthasar Glättli
Präsident GRÜNE Schweiz