Der Fall der FDP
In Kürze
Dieser Text erschien als Grüne Gedanken zur Woche in der Wochenzeitung P.S. vom 24.11.2023.
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Darum zitiere ich als unverdächtige Quelle zum Thema Wahlausgang den Tagi-Bundeshausredaktor Markus Häfliger. Er schrieb diesen Dienstag (der Artikel ist hier für Abonnent:innen zugänglich): «Die Freisinnigen sind die Hauptverlierer der Wahlen 2023: Dieses Fazit drängt sich nach den zweiten Wahlgängen in den Ständerat auf. (…) Seit 1983 gab es elfmal eidgenössische Wahlen, und die FDP verlor zehn davon. (…) Nach ihrer neuerlichen Niederlage hat die FDP nun keine Argumente mehr, um ihre zwei Bundesratssitze zu rechtfertigen.»
Ja, die Zauberformel ist definitiv tot. Sie löst ihr zentrales Versprechen nicht mehr ein: alle wesentlichen Kräfte in den Bundesrat und damit in die Verantwortung einzubinden. Dabei wäre dies gerade in unserer Zeit der Mehrfach-Krisen nötig. Eine Regierung der nationalen Einheit? Nein. Aber eine Regierung der schweizerischen Vielfalt – die tragfähige Lösungen mit Zukunft wagt. Das spricht ebenso für einen grünen Sitz im Bundesrat wie die Zahlen. Weniger als zwei Promille Vorsprung im Wahlanteil rechtfertigen den zusätzlichen Sitz der FDP vor der Mitte definitiv nicht. Und umgekehrt wäre ein zweiter Sitz der Mitte ebenso wenig zu begründen.
Wir GRÜNEN erhalten für die Kandidatur von Gerhard Andrey viel Unterstützung. Von unseren Mitgliedern. Aus der Zivilgesellschaft. Und aus der Wirtschaft. Anerkennung erhält Gerhard auch in den Medien. Und niemand in der Politik von links bis rechts spricht ihm das Bundesrats-Format ab.
Gerhard Andreys ökologische, soziale, finanz- und digitalpolitische Kompetenz überzeugt. Sein Werdegang vom Deutschfreiburger Bauernsohn und Schreiner zum Holzbetriebsingenieur und Internetunternehmer mit Lebensmittelpunkt im französischsprachigen Kantonsteil baut Brücken. Zwischen den Sprachregionen. Zwischen Stadt und Land. Und zwischen handwerklich verwurzelter Berufsausbildung, Studium auf dem zweiten Bildungsweg und digitalem Gründertum. Gerhard wäre zudem im jetzigen Gremium der einzige Bundesrat überhaupt mit praktischer Erfahrung als nachhaltiger Unternehmer, der weit über 200 Arbeitsplätze geschaffen hat. Zwar stellt sich der Freisinn selber gerne als die liberale Gründerpartei von 1848 dar. Aber der echte Geist des Aufbruchs sucht seine Rechtfertigung nicht in der Geschichte, sondern in der Verantwortung für die Zukunft. Und sie spürt man definitiv stärker beim Kandidaten der GRÜNEN als bei den Bundesrät:innen der FDP.
Derweil sucht die FDP ihre Seele. Mit welchem Präsidium der schon lange nicht mehr stolze Zürcher Freisinn in die Zukunft geht, wird er nach dem Abgabetermin dieser Gedanken entscheiden. Ein Befreiungsschlag allerdings ist so oder so nicht zu erwarten. Und währenddem wir GRÜNEN nach der Enttäuschung des Wahlherbsts bereit sind, ein neues Kapitel aufzuschlagen – immerhin auf dem Boden des zweitbesten Resultats unserer Geschichte –, deutet nichts darauf hin, dass die Spitze der FDP ihre Partei ernsthaft aus der selbstgegrabenen Falle als Steigbügelhalterin der SVP befreien will.
Balthasar Glättli, Präsident GRÜNE